Viele haben auch heuer den Ostermontaggottesdienst der Tiroler Hospizgemeinschaft in der Pfarrkirche St. Pirmin, Innsbruck, mitgefeiert. Dabei wurden an der Osterkerze Lichter für verstorbene Angehörige entzündet. Gedanken zu diesem Anlass haben Dr. Elisabeth Medicus, Ärztin, und Mag. Christian Sint, Seelsorger, zum Ausdruck gebracht.
Christian Sint: „Loslassen, Du mußt loslassen“. Dieses Wort, dieser Satz ist ihnen vielleicht begegnet oder sie haben es sich selbst gesagt als ihr naher Angehöriger starb. Muss ich meinen nahen verstorbenen Angehörigen wirklich ganz loslassen? Ich nehme das Wort „loslassen“ nicht mehr so gerne in den Mund.
Elisabeth Medicus: Eine Frau schreibt ein halbes Jahr nach dem Tod ihres Mannes:„Ich habe den Tod meines Mannes akzeptiert, weil ich es musste. Als er starb, war ich froh, dass er nicht noch mehr leiden musste. Anfangs. Aber ich habe ihn nicht losgelassen. Nicht, solange er am Leben war und nicht nach seinem Tod. Ich möchte, dass er bei mir bleibt, bei uns. Ich lasse ihn nicht los.“
Dieses Verständnis vom so oft bemühten Wort vom „Loslassen“ teile ich.
Selbst das „Akzeptieren“ ist schon schwer genug angesichts des Schmerzes, wenn man einen geliebten Menschen verliert, verloren hat. Angesichts des Schmerzes, dass vieles nicht mehr möglich ist, weil der Tod so endgültig ist.
Christian Sint: Maria von Magdala, eine enge Weggefährtin der Jünger und Jesu weint: „Man hat mir meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht wohin man ihn gelegt hat“.
Maria von Magdala macht ein Wechselbad der Gefühle durch:
Sie muss den Tod von Jesus, sein grausames Ende zulassen.
Gleichzeitig trägt sie in sich viele schöne verinnerlichte Bilder des Lebens: die Wege mit den Jüngern und Jesus unterwegs war, die Heilung von ihrer psychischen Erkrankung. Sie muss nicht alles loslassen. Sie darf sich erinnern, manches verinnerlichen, bergen, hüten. Es tut schrecklich weh ihn gehen lassen zu müssen. Aber es ist Jesus selbst, der Auferstandene, der sie mit ihrem Namen „Maria“ anspricht und sie bittet, ihn gehen zu lassen in eine neue Wirklichkeit, zu Gott: „Halte mich nicht fest. Denn ich bin noch nicht zu meinem Vater hinaufgestiegen!“
Elisabeth Medicus: Einmal habe ich einen Patienten direkt gefragt, was er sich denn denke zum Begriff des Loslassens. Nach einer ersten Äußerung der Missbilligung diesem Wort gegenüber hat er mir folgendes Bild geschenkt: Vielleicht, so hat er gemeint, sei es beim Sterben wie beim Trapezkünstler in dem Moment, in dem er springt: nichts mehr zum Festhalten, nichts mehr, das ihn hält, er setzt sich aus, er überlässt sich ganz seinem Gegenüber.
Ist das auch ein Bild für uns Zurückbleibende? Den Sterbenden gehen lassen in eine andere Wirklichkeit?
Wir bleiben zurück. Vielleicht als die, an die dieser Sterbende im Tod sein Leben übergeben hat, um es als das uns mit dem verstorbenen Menschen Verbindende weiter zu tragen: Freunden wir uns an mit unseren Toten, erhoffen wir doch einen Sinn auch für sie, spüren wir sie auf in unseren Leben, wissen wir uns mit ihnen verbunden im gemeinsamen Grund, der uns trägt und hält im Leben wie im Sterben. Lassen wir uns den Frieden zusprechen, den Frieden mit allem Vergangenen und mit allem Gegenwärtigen und für alles Kommende.
Die Frau, deren Satz ich am Anfang zitiert habe, schreibt für die Enkelkinder, die ihr Mann nicht mehr erlebt hat, die Geschichte des gemeinsamen Lebens mit ihrem Mann auf.
Christian Sint: Wir bleiben zurück. Aber wir dürfen unsere nahen Angehörigen einer neuen Wirklichkeit, jemandem überlassen. Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Dieses Lassen – ob es ein Zulassen, Loslassen, Überlassen ist – hat einen Ort, ein Du. Eine 90 jährige Frau, die viel in ihrem Leben durchgemacht hat und die ich begleiten durfte, sagte mir kürzlich: „Ich lande bald in den ausgestreckten offenen Armen Gottes.“ An Ostern feiern wir, dass unser aller Leben letztlich nicht im Nirgends und Nichts landet. Jede, auch die schrägste Lebensgeschichte wird aufgefangen. ER, der Jesus aufgefangen hat, fängt auch uns auf, vollendet, was unvollendet geblieben ist.
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