Was ist für Sie die größte Not sterbender Menschen am Lebensende?
Mona Mettler: „Mir scheint, die größte Not ist die Angst vor dem, was jetzt auf sie zukommt – sowohl für die Sterbenden selbst als auch für die Angehörigen. Vielleicht ist es auch Angst vor den traurigen und heftigen Gefühlen, die sie eventuell erleben. Dann erlebe ich im Alltag oft eine Sprachlosigkeit; Sterbende möchten ihre Nächsten nicht belasten, ihnen keinen Kummer bereiten und schweigen darum lieber. Ich erinnere mich an einen jüngeren Mann (Jahrgang 1960) auf der Notaufnahme mit einem metastasierten Rektumkarzinom im Endstadium: Am schlimmsten sei für ihn, was sein Sterben für seine pubertierenden Kinder bedeuten könne. Er wolle ihnen das ersparen und wolle sich ihnen in diesem schlechten Zustand nicht zumuten. Darum habe er ihnen die regelmäßigen Besuche verboten. Er weinte, als er uns das erzählte.“
Was heißt für Sie persönlich „gutes Sterben“?
Mona Mettler: „Für mich bedeutet es, mich und meine Nächsten auf den Abschied vorbereiten zu können; ihnen noch einmal meine Liebe versichern zu dürfen. Also geht es für mich persönlich vor allem um die Bewusstheit des Sterbeprozesses. Wie es dann abläuft, ist mir nicht so wichtig; darauf habe ich wahrscheinlich keinen großen Einfluss. Ich wünsche mir einfach liebe Menschen um mich herum und keine Ärzte, die mir noch irgendwelche Therapien aufschwatzen.“
Sie bezeichnen das Sterben als Mysterium. Warum?
Mona Mettler: „Einmal hörte ich im Nachtdienst bei einer sterbenden Frau wunderschöne Musik im Zimmer, wie ein Frauenchor. Die Patientin ist in derselben Nacht gestorben. Als ich die Tochter nach der Musik fragte, erzählte sie mir, dass es da gar keine Musik gegeben habe, dass aber die Mutter seit zwei Tagen sagte, in ihrem Zimmer singen Engel und sie freue sich so sehr! Ein Mysterium ist für mich auch, wenn Sterbende erzählen, wann und wie sie sterben werden, und es dann genauso stattfindet. Da frage ich mich: ‚Woher kommt dieses Wissen?‘“
Wie geht Ihr Team mit der Not am Lebensende um? Wie können Sie die Endgültigkeit und die „Nicht-Machbarkeit des Sterbens“ in Ihrem Arbeitsalltag bewältigen?
Mona Mettler: „Auch wenn Menschen am Lebensende Not empfinden, ich als Begleiterin habe diese Not nicht; allein schon, dass wir (als Beratungsteam) ruhig sind und zuversichtlich, vermittelt den Sterbenden und ihren Nächsten, dass es seine Richtigkeit hat, was jetzt hier geschieht. Möglicherweise helfen ihnen schon unser Verständnis und unser Mitgefühl.
Wir Pflegende und ÄrztInnen haben ein Repertoire an Möglichkeiten, gewisse Zustände zu erleichtern – sei es mit gezielten pflegerischen Handlungen, mit Medikamenten, die wir einsetzen können, oder mit seelsorgerlicher Begleitung, die wir hinzuziehen können. Wichtig ist zu fragen oder zu merken, was denn genau die Not ist und was es jetzt braucht. Dazu ein Beispiel: Eine Patientin war in großer Not und sehr aufgewühlt; als wir nachfragten, erzählte sie von ihrem Mann und der jüngeren Tochter; dabei weinte sie sehr. Wir hörten ihr mitfühlend zu und fragten sie, was ihr Wunsch wäre. Sie meinte, es müsse dringend jemand mit der Familie sprechen, was wir ihr zusicherten. Wir waren danach unsicher, ob wir jetzt nicht sehr viel aufgewühlt hätten bei der Frau. Am nächsten Tag fragten wir nach und sie erzählte uns, dass sie seit langem wieder einmal ruhig hätte schlafen können; sie sei so froh gewesen, jemandem ihren Kummer mitteilen zu können. Sie sei jetzt beruhigt, weil sie wisse, dass ein Familiengespräch stattfinde, in dem wir zusammen über das Sterben sprechen würden. Sie hätte nicht gewusst, wie sie das alleine anstellen könnte.
Ich habe auch schon sehr schwere Sterbeprozesse begleitet. Dabei lernte ich auch auszuhalten. Die Menschen nicht allein zu lassen, war das, was ich ‚tun‘ konnte. Es macht uns auch bescheiden zu realisieren, dass wir vieles nicht beeinflussen können. Natürlich lassen wir nichts unversucht. Möglich ist, dass wir einen Rahmen der Ruhe und Sicherheit schaffen, das Sterben selbst können wir nur wenig beeinflussen. Wir können erkennen, dass es jetzt ums Sterben geht, das auch benennen und die Familie einbeziehen. Der Sterbende selbst leistet da sehr viel und er lernt. ‚es‘ einfach geschehen zu lassen.“
Inwieweit beeinflusst Ihre Arbeit mit Sterbenden Ihre persönliche Lebenshaltung? Haben Sie sich dadurch verändert?
Mona Mettler: „Sicher hat es einen Einfluss auf meine Lebensführung. Ständig bin ich mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert. Da frage ich mich oft, was ist jetzt für wen wichtig? Was zählt wirklich? Pflege ich den Kontakt zu meinen Kindern, meinen Freundinnen, meinem Partner?
Die Spiritualität, die Suche nach dem Sinn bleibt zentral. Ich wage mehr, ich selbst zu sein, mich zu zeigen, mich zu freuen an so vielem, und bin in ständiger Entwicklung. Als meine Kinder noch klein waren, kam ich nach einem strengen Nachtdienst nach Hause und spürte eine überschäumende Freude beim Kontakt mit meinen so lustigen und lebendigen Kindern, was ich vorher nicht so bewusst wahrgenommen hatte. Vieles wird für mich weniger wichtig im ständigen Kontakt mit dem Tod; dafür wird die Liebe immer wichtiger.
Zum Abschluss noch dieses Zitat, das eine Freundin mir letzthin mitgeteilt hat; leider wusste sie nicht mehr, woher sie es hatte: ‚Der Tod ist mein ständiger Begleiter. Er lässt mich nie allein, falls einmal etwas Schlimmes passiert.‘ Auch das gehört zu meiner Haltung: der Tod, der immer und natürlich zu unserem Leben gehört.“
Mona Mettler, Pflegefachfrau, Leitung Pfl ege des Palliativ-Konsiliardiensts Palliativzentrum, Kantonsspital St. Gallen (CH), Ausbildnerin und Dozentin in Palliative Care; Leitung Trauerbegleitung am Kantonsspital St. Gallen
Weiterführende Links:
- Das Palliativzentrum im Kantonsspital St. Gallen in der Schweiz
- Buchtipp – Dem Sterben Leben geben
- Das Sterben den Menschen zurückgeben – 20 Jahre Hospiz und Palliative Care in Tirol
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