Ansprache von Christian Sint, Seelsorger an der Hospiz- und Palliativstation, beim Gebet für die Kranken in der Innsbrucker Jesuitenkirche am 5.12.2015
Herr Herbert ist blind. Er war Patient einer neurologischen Klinik in Heidelberg in Deutschland, wo ich vor einigen Jahren als Seelsorger am Hospiz in Ausbildung war.
Ich suchte mit Herrn Herbert die Kapelle der Klinik auf. Irgendwie zog uns beide der Altar der Kapelle in den Bann. Der Altar: ein großes Stück eines Baumes, der vom Blitz getroffen wurde. Herr Herbert legte seine Hände auf den Altar. Er tastete und fühlte das Holz mit seinen Fingern: die Ringe und die Rinde, die Risse und die Kanten, die feinen und die groben Seiten des vom Blitz getroffenen Baumes.
„Was wünschen Sie sich?“ fragte ich ihn. Er erwiderte: „Dass es wird, wie es einmal war.“ Und er erzählte von jener Lebendigkeit, die er als Kind hatte und die nun aufgrund eines Schlaganfalles und schwerer Depressionen verloren ging.
Ich stand daneben, fing leise an zu beten: „Gott, kannst du nicht Herrn Herbert ein bisschen von jener Lebendigkeit geben, die er als Kind hatte?“
Stille, keine Antwort, von einem kleinen Wunder ganz zu schweigen.
Gebete erfüllen sich nicht. Ich weiß, Gott ist kein Erfüllungsautomat. Ich kann nicht in seine Karten schauen. Ich weiß nicht, was er mit Herrn Herbert, mit mir, mit der Welt vorhat.
Das hält mich nicht ab zu beten, wo immer ich als Seelsorger hinkomme: “Kannst du nicht Herrn Herbert helfen? Kannst du nicht Frau Monika von ihrer Krankheit befreien? Hilf den Angehörigen von Frau Maria, damit sie das alles „dapacken““.
Unser Ausbildungsleiter in der Klinischen Seelsorge in Heidelberg meinte, ich sollte nicht auf die Erfüllung der Wünsche starren. Ich sollte Menschen nicht auf den Himmel vertrösten. Er ermutigte mich, Menschen aussprechen zu lassen, woran sie leiden und wonach sie sich sehnen. Die Widersprüche des Lebens nicht auflösen, sondern in Bewegung zu halten, aushalten, auf ein Morgen, auf Gott hin.
Wir haben uns heute hier zum allmonatlichen Gebet für die Kranken, deren Angehörige, für alle, die für kranke Menschen da sind, versammelt.
- Beten ist für mich nichts anderes als Gott alles frisch von der Leber sagen. Ihm alles anvertrauen, ob sich meine, unsere Gebete erfüllen oder nicht.
- Beten ist für mich nichts anderes als die Risse wie die Kanten, das Schwere, wie das Schöne, die Klarheiten, wie die Widersprüche des Lebens aussprechen, gemeinsam aushalten, hinhalten, auf ein Morgen, auf Gott hin.
Herrn Herbert sagte ich beim Verabschieden: „Ich komme morgen wieder“. Und er meinte: „Ja kommen sie wieder. Ich freue mich!“ und er weinte.
Die nächsten Gebete für die Kranken finden an den Samstagen 9. Jänner, 6. Februar, 5. März um 19:00 Uhr in der Innsbrucker Jesuitenkirche statt. Nähere Infos unter www.jesuitenkirche-innsbruck.at
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