Kriterien, Zeichen, Konsequenzen
„In der Medizin und in der Pflege sind wir gewohnt, Diagnosen zu stellen. Eine Diagnose ist die Basis für Entscheidungen über die weitere Behandlung und Betreuung“, erklärten die Referentinnen beim Palliativforum am 11. November 2010, Dr. Elisabeth Medicus und DGKS Maria Schmidt.
Dieses gewohnte Schema funktioniert dann nicht mehr, wenn ein Mensch sich dem Lebensende nähert. „Es gibt in der Medizin eine Todesdiagnostik, aber keine Diagnostik für das Sterben“, stellte Elisabeth Medicus fest und fügte hinzu: „Es ist auch in vielen Fällen wirklich schwierig, zu sagen, ob ein Mensch nun bereits sterbend ist oder nicht.“
Zwischen Hoffen und Bangen
Relativ einfach ist die Diagnose „Sterbend“ bei TumorpatientInnen, deren Krankheit in der letzten Phase einen ziemlich linearen Verlauf nimmt. Bei demenzkranken Menschen ist das Sterben schwerer zu diagnostizieren, und besonders unklar ist die Prognose bei Personen mit Herzinsuffizienz oder einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung. „Da ist man mitunter über eine recht lange Zeit in einem Zustand zwischen Hoffen und Bangen“, erzählte Medicus, „und das ist sehr schwierig, wenn man immer wieder aufs Neue damit rechnet, dass jetzt der Tod nahe ist.“
Auch die Pflege kennt keine Diagnose für das Sterben. „Aber es gibt einige sehr deutliche Hinweise, die wir kennen und die uns die Einschätzung erleichtern“, erklärte Maria Schmidt. Ein starkes Bedürfnis nach Rückzug, kein Interesse an Essen, Unruhe, Verwirrtheit und kalte Extremitäten sind nur einige von diesen Hinweisen.
Die Möglichkeit, sich vorzubereiten
Warum ist es so wichtig, zu wissen und auch zu benennen, dass eine Person sterbend ist? „Es ist nachgewiesen, dass Menschen am Lebensende den großen Wunsch haben, sich vorbereiten zu können. Sie möchten ihr Leben bilanzieren“, berichtete Elisabeth Medicus, „wenn man also das Sterben nicht anspricht, nimmt man den betroffenen Menschen die Möglichkeit, vieles noch zu tun und zu erleben.“
Es sind in der Regel die Ärztinnen und Ärzte, von denen eine klare Aussage über die Prognose erwartet wird. „Wir können uns hier nicht nur an Fakten und Prozentzahlen orientieren, sondern müssen auch unsere Intuition ernst nehmen“, findet Elisabeth Medicus, die ärztliche Leiterin der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft. Mit den PatientInnen und ihren Angehörigen spricht sie nicht über konkrete Zeitangaben, es sei aber möglich, in Dimensionen zu sprechen: „Man kann in vielen Fällen schon sagen, ob es sich um Stunden, Tage, Wochen oder Monate handelt.“ Für die Angehörigen seien solche Aussagen wichtig und sie könnten sie meist auch gut annehmen.
Entscheidungen gemeinsam treffen
Die beiden Referentinnen, Elisabeth Medicus und Maria Schmidt, betonten in ihrem Vortrag aber auch, dass die MedizinerInnen nicht alle Entscheidungen allein treffen müssen und sollen. Sie stellten drei Instrumente vor, die für die Betreuung am Lebensende hilfreich sind, weil damit alle Beteiligten in die Entscheidungen einbezogen werden können.
Der Palliative Behandlungsplan bietet Unterstützung bei der Betreuung Sterbender zu Hause und im Pflegeheim. Weitere Informationen finden Sie hier.
Der „Runde Tisch“ ist eine Möglichkeit, alle Beteiligten (PatientIn, Angehörige, ÄrztInnen, Pflegende, VertreterInnen der verschiedenen Betreuungssysteme) auf den gleichen Informationsstand zu bringen und gemeinsam das weitere Vorgehen zu planen. „Die Organisation dieser Besprechungen ist oft aufwendig“, berichtete Elisabeth Medicus, „aber es lohnt sich zu 100 Prozent!“
Ein weiteres Instrument, das die Referentinnen vorstellten ist der Liverpool Care Pathway (LCP), der auf der Hospiz- und Palliativstation der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft angewendet wird. Informationen darüber gibt es ebenfalls auf der Website des Palliativzentrums St. Gallen, mit dem die THG in diesem Thema sehr gut zusammenarbeitet.