Einsamkeit als Unglück oder Quelle des Glücks?

„Einsamkeit fühlt sich an, wie außerhalb des Flusses des Lebens zu stehen, abgeschlossen von der Welt zu sein. Die einzige Möglichkeit, sich zu befreien, ist, den Fluss des Gebens und Nehmens zu leben und dabei mit dem Geben zu beginnen.“
Michael Lehofer, Leiter Psychiatrie LKH Graz1

Wer schon einmal Antoine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“ gelesen hat, weiß um die Erfahrungen von Freundschaft, Liebe, Verantwortung und um jene der Einsamkeit, weil er nicht verstanden wird.

Einsamkeit geht alle an

„Einsamkeit ist ein Gefühl, das jede und jeden von uns früher oder später einholen wird, egal, wie viele Freundschaften wir pflegen, egal, ob wir in einer Partnerschaft leben. Spätestens dann, wenn unser Leben große Umbrüche erfährt, wenn wir von Krankheiten heimgesucht werden, wenn Partnerschaften enden, wenn Menschen, die wir lieben, sterben.“2

Als soziale Wesen bewegen wir uns zwischen Bezogenheit und Individuation. Einsamkeit ist zutiefst menschlich.Sie kann uns alle betreffen, sie ist kein alters- oder schichtspezifisches Phänomen. Ob jemand einsam ist, lässt sich von außen schwer erkennen, wie die Philosophin und Theologin Melanie Wolters in ihrem Podcast „Ganz schön mutig“3 bemerkt.

Feststeht, dass das innere Erleben von Einsamkeit ungemein schmerzvoll sein kann, es sind dieselben Hirnareale aktiviert, die für physischen Schmerz zuständig sind, stellt die Philosophin und Theologin Melanie Wolfers in ihrem Podcast „Ganz schön mutig“ fest. Einsamkeit hat viele Gesichter. Sie kann sich auf das Fehlen einer engen, intimen Beziehung oder fehlende körperliche Nähe und Berührungen beziehen, aber auch auf ein mangelndes Zugehörigkeitsgefühl zu einer größeren Gemeinschaft oder das Fehlen des gewohnten kulturellen Umfelds.4

Beim 17. Tiroler Palliativtag im April 2024 sprach Andreas Heller in seinem Vortrag der Einsamkeit eine Ambivalenz von Glück und Unglück zu und formte den Begriff „meinsam“. Meinsam zu sein bedeutet, ganz bei mir zu sein, einerseits aufgehoben zu sein in mir selbst und andererseits in wärmenden Beziehungen zu anderen. Dieses Glück steht im Widerspruch zum Unglück, mich selbst zu verlieren. Problematisch sei die Einsamkeit nur dann, wenn ich als Person darunter leide.

Vereinsamung macht krank

Folgen chronischer Einsamkeit äußern sich in körperlichen und psychischen Erkrankungen sowie Veränderungen in Bezug auf Kognition und Verhalten. Einsamkeit beeinträchtigt unsere Gesundheit – auf physischer und psychischer Ebene. Es gibt Vergleiche, dass Einsamkeit unserer Gesundheit mehr schadet als das Rauchen von 15 Zigaretten pro Tag.

Einsamkeit lässt uns auch wachsen

Einsamkeitserfahrungen müssen aber nicht immer ein negatives, problematisches Phänomen sein. „Ich möchte gerne mehr alleine sein, ich habe nur noch so wenig Zeit.“2 Melanie Wolfers spricht in ihrem Podcast „Ganz schön mutig“ dem Alleinsein die Chance zu, sich selbst näherzukommen und zu wachsen. Menschen, die beruflich stark in zwischenmenschlichen Kontakten (Pflege, Medizin, Seelsorge, Therapie u. a.) stehen, wählen bewusst Zeiten des Alleinseins und Räume, wo sie aufatmen und erst einmal zu sich kommen können, wo sie für sich sind. Dort können sie zu schönen, lebendigen und kreativen Momenten finden: im Garten, in der Musik, beim Stricken, in der Meditation.

„Das Stricken ist der perfekte Zeitvertreib, wenn die Welt kälter wird. Man nimmt seine Einsamkeit und macht etwas Schönes daraus. […] Es kann auch bedeuten, dass ich das Strickwerk meines Lebens auftrenne, um aus dem Faden etwas Neues zu machen.“2

Welche Erkenntnisse nehmen wir uns mit für die Begegnung mit Menschen?

Mit Menschlichkeit antworten

„Die Freundlichkeit im Alltag bewirkt so viel. Es ist eine Haltung und es ist nicht schwer, freundlich zu sein. Ein Lächeln im Bus, ein kurzes Gespräch, das zeugt von Begegnung und Interesse.“2

Damit sich der kleine Prinz verstanden fühlt, braucht es Begegnung und eine Haltung des Interessiert-Seins und des Zuhörens. Interesse bedeutet Anteil nehmen, sorgebereit sein. Schon in den Ursprüngen der Care-Arbeit ermutigte Cicely Saunders dabei: „Hospice is listening […] and keep on listening.“

Verena Klaunzer, Leiterin Akademie in der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft

  1. https://www.michaellehofer.at/ ↩︎
  2. Die Zitate stammen aus einer privaten, unveröffentlichten Sammlung, die über die Jahre im Rahmen der Hospiz- und Palliativbetreuung in Tirol entstanden ist. ↩︎
  3. Wolfers, Melanie, Ganz schön mutig. Dein Podcast für ein erfülltes Leben, Nr. 63, Alleinsein: Zwischen Balsam und Ballast, 12.12.2023. ↩︎
  4. Hax-Schoopenhorst, Thomas (Hrsg.), Das Einsamkeitsbuch. Wie Gesundheitsberufe einsame Menschen verstehen, unterstützen und integrieren können, 1. Auflage, Bern 2018. ↩︎

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