Engel im Schmerz

Engel in allen Variationen begegnen uns, wenn wir als Seelsorgende Patient/innen in ihren Zimmern auf der Hospiz-Palliativstation aufsuchen. Diese Engel stehen auf den Nachtkästchen oder auf dem Esstisch. Sie hängen über dem Bett, bei der sogenannten „Glocke“, wo die/der Patient/in „um Hilfe“ läutet. Engel in allen Ausführungen: lachende, weinende, fliegende, in sich zurückgezogene. Engel, die in einer großen Hand geborgen sind, ebenso wie am Boden liegende Engel, die einer/m fröhlich entgegenblicken.

Welche Sehnsüchte mögen wohl hinter all diesen vielfältigen Engeln stecken?

Cicely Saunders, die Gründerin der Hospizbewegung, war als Krankenschwester und Sozialarbeiterin vom Leiden der an Krebs erkrankten Menschen so betroffen, dass sie sich auch zur Ärztin ausbilden ließ. Ihr Einsatz galt dem Ziel, Schmerzen zu lindern. Sie sah es als wichtig an, Schmerzen jeglicher Art zu erforschen und ein fundiertes Wissen über geeignete Medikation weiterzugeben. Gleichzeitig erkannte sie früh im Konzept des „total pain“ (Gesamtschmerz), dass Schmerz nicht nur körperlich empfunden wird, sondern auch psychisch, sozial, spirituell.

Wenn ein Mensch erkrankt, im Sterben liegt, leidet der ganze Mensch, so wie ein Patient es einmal ausdrückte: „Die Schmerzpumpe hilft mir für den körperlichen Schmerz, für den seelischen, dass ich bald gehen muss, meine Familie verlassen muss, hilft sie mir nicht“. Was tun, wenn der ganze Mensch leidet?

Cicely Saunders sagte einmal, die Antwort auf das Geheimnis des Leidens und des Todes finde sich nicht in einer Erklärung, sondern in meiner, deiner, unserer Präsenz.

Saunders wörtlich: „Wir können nicht einmal sagen: `Ich verstehe dich`, weil wir es nicht wirklich verstehen. Wir können nur sagen: `Ich werde nicht weglaufen`“. Für kranke, sterbende Menschen da sein, gleichsam wie ein schützender Mantel. Aus „Pallium“ (lateinisch Mantel) entwickelt sich die Palliativmedizin. Palliative Care meint, wie ein schützender Mantel für kranke sterbende Menschen sein.

In der palliativen Sorge ist es wichtig, auch Grenzen zu akzeptieren. Wir können Leiden und Schmerzen lindern, das Leid an sich nicht aus der Welt schaffen. Auch nicht das Leid, dass wir alle sterben müssen.

Veränderungen, Wandlungen, Verwandlungen gehen meist nicht ohne Anstrengung, Leiden, Schmerz. So auch die zentralen Übergänge wie Geburt und Tod. Das weiß die Menschheitsgeschichte in vielen Erzählungen, Mythen und Geschichten zu berichten. Und sie erzählt auch von überirdischen Kräften, vom Göttlichen, von Gott und seinen Boten, die im Schmerz beistehen, die helfen, Veränderungen und Verwandlungen zu bewältigen.

Die vielfältigen Engel, die wir bei unseren Begegnungen entdecken, sind für uns vielfach Ausdruck der Sehnsucht, im Schmerz letztlich gehalten, geborgen zu sein. Die Engel sollen mithelfen, die vielen kleinen und großen Veränderungen, Verwandlungen, schließlich den unbekannten Übergang vom Leben in den Tod zu bewältigen. Dietrich Bonhoeffer, der im KZ Flössenburg 1945 ermordete evangelische Theologe, drückt dieses Behütet sein in den vielfältig zitierten und gesungenen Worten aus: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag …“

Der Engel in dir
freut sich über dein Licht
weint über deine Finsternis

Aus seinen Flügeln rauschen
Liebesworte Gedichte Liebkosungen

Er bewacht deinen Weg
Lenk deinen Schritt
engelwärts

Rose Ausländer

Eine Anregung für den Tag:

Halte inne. Wem möchte ich heute meine Gedanken, mein Gebet, schicken und einen „Engel im Schmerz“ zur Seite bitten?

Adventimpuls 18.12.2020
Christian Sint und Romana Thurnes

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