EIN AUGENBLICK LEBEN ist das berührende Vermächtnis von DI Robert Linhart. Seine Botschaft an die Nachwelt: Die Leute sollen sich mehr selber mögen, dann mögen sie auch die anderen mehr. Anita Natmeßnig führte mit dem 53-Jährigen in seinen letzten Lebenswochen ungewöhnlich offene Gespräche. Der an Lungenkrebs Erkrankte wurde der Regisseurin zum Vorbild: Das Unveränderbare gelassen annehmen. Der Film vermittelt die persönliche Lehre einer Begegnung: Getrenntheit ist eine Illusion. Verbundenheit unsere wahre Natur. Der Tod eine Illusion. Leben ist ewig. Jetzt. – Das Ergebnis: Ein bewegender Film über das Leben.
Der Dokumentarfilm ist die Einlösung eines Versprechens
DI Robert Linhart war ein Protagonist im Kinofilm „Zeit zu gehen“ (A, 2006, 95’) von Anita Natmeßnig über unheilbar krebskranke Menschen im CS Hospiz Rennweg. Er wollte der Nachwelt filmisch erhalten bleiben und die Regisseurin versprach ihm – eine Woche vor seinem Tod –, einen eigenen Film über ihn zu realisieren. Er gestattete ihr Aufnahmen bis über seinen Tod hinaus.
Tiefe Einblicke in sein Leben und in seine Seele
Der Nachrichtentechniker hatte sich im CS Hospiz Rennweg so gut erholt, dass er in die mobile Palliativbetreuung nach Hause entlassen wurde. Er ist Single, kinderlos und lebt in einer 25 Quadratmeter großen Gemeindebauwohnung in Wien Simmering. Mit trockenem Humor schildert er seine Krebsdiagnose und begrenzte Lebenserwartung. Er hat viele offene Wünsche und überlegt, eine Kreuzfahrt zu machen. Zugleich hält er freimütig Rückschau auf sein Leben. Die Themen reichen von der Herkunftsfamilie und seinem Sprachfehler über seine Beziehung zu Frauen bis hin zur Faszination von Rauschzuständen. Robert Linhart spricht nüchtern und ganz selbstverständlich über sein bevorstehendes Sterben, dem er gelassen entgegenblickt.
EIN AUGENBLICK LEBEN ist ein höchst persönlicher Dokumentarfilm, der die Geschichte einer Beziehung zwischen Protagonist und Regisseurin widerspiegelt. Die Interviews haben den Charakter eines Gesprächs und Anita Natmeßnig ist als Gegenüber kontinuierlich zu hören. Die Art, wie sie Fragen stellt, lässt deutlich ihre Hospizerfahrung und Psychotherapieausbildung erkennen. Auf eine nachträgliche Verbesserung mancher Formulierungen in der Postproduktion des Films wurde bewusst zugunsten der Authentizität verzichtet. Die Autorin formuliert an drei dramaturgisch bedeutsamen Stellen im Film, was die Begegnung mit Robert Linhart für sie bedeutet und welche Lehre sie daraus zog. Ihre poetischen Worte über Fahrten durch Wien im Dialog mit der Musik ermöglichen eine zusätzliche Dimension: berührend, tröstlich und ermutigend.
Weniger ist mehr
Gemäß dem Motto der Regisseurin „weniger ist mehr“ entstand ein langsamer, streng komponierter Film – verdichtet auf die Essenz. Robert Linhart authentisch zu dokumentieren, hatte höchste Priorität. Adam Wallisch, der auch „Zeit zu gehen“ geschnitten hat, sorgt gekonnt für sparsamen Schnitt, Rhythmus und klare Dramaturgie. Der Film lebt von Kontrasten: Innen und Außen, ruhig und bewegt. Während Robert Linhart durchgehend in statischen Einstellungen zu sehen ist (Kamera: Helmut Wimmer), zumeist in seinem Zimmer zu Hause und im Hospiz, versinnbildlichen Fahrten mit der U-Bahn und S-Bahn die Ebene der Autorin und bringen Bewegung und Weite. Die Fahrten stammen von Adam Wallisch, der extra für diesen Film zwei Jahre lang wöchentlich gedreht hat. Sie bieten eine ungewöhnliche Perspektive und eröffnen stets den Blick aufs Wasser: Donaukanal und Donau in Wien. Eine Analogie zur Donaufahrt von Robert Linhart und zu seinem Wunsch nach einer Kreuzfahrt. Die Fahrten wirken wie Inseln zum Atemholen. Hilfreicher Abstand, um sich wieder auf die emotionale Herausforderung einlassen zu können, an den letzten drei Lebensmonaten von DI Robert Linhart teilzunehmen.
Wesentliche Bedeutung kommt dem Originalton (Bruno Pisek) zu. Der Film beginnt mit dem deutlich vernehmbaren Atmen von Robert Linhart, lange bevor der Protagonist das erste Mal zu sehen ist. Das Ein- und Ausatmen bildet quasi einen akustischen Leitfaden. Unwillkürlich synchron mit dem Protagonisten zu atmen, kann und soll daraus resultieren. Atmen ist Leben – das wird hier deutlich. Aber auch: Atmen schafft Verbindung. Das Husten von Robert Linhart hingegen trennt. Er ist schmerzhaft laut, während seine Stimme krankheitsbedingt heiser und brüchig wirkt.
Der Dokumentarfilm setzt bewusst Musik ein, die von Herbert Tucmandl komponiert wurde. Er fand für Robert Linhart ein eigenes Thema, zweigeteilt in melancholisch und tröstlich. Es verdeutlicht: das Leben kann traurig und schön sein. Dem Komponisten war es wichtig, der Idee des Films zu folgen. Die Musik interpretiert daher nie Robert Linhart, sondern soll die Emotionen der Betrachtenden unterstützen. Die Instrumentierung basiert auf einem Streichorchester mit ganz kleiner Bläserbesetzung, zusätzlich werden Klavier, Harfe und Marimbaphon eingesetzt. Für Herbert Tucmandl war das Fagott von Anfang an das Instrument für Robert Linhart.
Die letzte Reise
Auf Wunsch der Regisseurin mündet das Leitmotiv am Ende des Films in einem Walzer – eine zuversichtlicher Ausklang, entsprechend ihrer spirituellen Weltsicht. Wenn die Schlusseinstellung – Robert Linhart fährt im Schiff sitzend donauaufwärts – die Assoziation „letzte Reise“ weckt, ist das durchaus beabsichtigt. Ebenso die altägyptische Vorstellung vom Fährmann, der den Verstorbenen über den Fluss in eine andere Dimension führt.
Den Höhepunkt von EIN AUGENBLICK LEBEN bildet der Tod. Robert Linhart liegt – wie schlafend – schön aufgebahrt in seinem Bett im CS Hospiz Rennweg (gefilmt auf DVCam von Anita Natmeßnig). Die Entscheidung, den Tod als Höhepunkt zu wählen, geht auf die Beratung des Dramaturgie-Experten Dr. Erich Dworak zurück. Er wirkte bei allen größeren Projekten der Regisseurin als graue Eminenz im Hintergrund. Während der Schnittzeit von EIN AUGENBLICK LEBEN ist er an Krebs erkrankt und wie Robert Linhart im CS Hospiz Rennweg gestorben. Anita Natmeßnig hat ihm den Film gewidmet.
EIN AUGENBLICK LEBEN – Ein Kaleidoskop an Gefühlen
traurig und schön, humorvoll und ängstlich, kathartisch und weise. Die großen Fragen des Lebens und die Banalitäten des Alltags. Das Zeugnis einer außergewöhnlichen Begegnung und der Verbundenheit über den Tod hinaus. Der Dokumentarfilm lädt zum Mit-Fühlen ein und bietet zugleich Zeit zum Nachdenken – über das eigene Leben.
Der Dokumentarfilm vermittelt bereits über seinen Titel EIN AUGENBLICK LEBEN eine Überzeugung der Regisseurin Anita Natmeßnig: Aus einer Metaperspektive betrachtet, währt unser Leben auf Erden nur einen Augenblick lang und ist zugleich nur im Augenblick erfahrbar.
Mehr zum Film finden Sie auf der Filmwebsite:
www.einaugenblickleben.at
BIOGRAFIE Anita Natmeßnig
Mag.a Anita Natmeßnig, geboren 1963, Studium der Evangelischen Theologie, zahlreiche TV-Dokumentationen für den ORF (bis 2005); lebt und arbeitet in Wien als Filmemacherin: Kinodokumentarfilm „Zeit zu gehen“ (A, 2006, 95’), Autorin: „Was zählt, ist dieser Augenblick“ (Herder Tb, 2012), Psychotherapeutin & Coach: in freier Praxis, Seminar- und Vortragstätigkeit
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