Ein Palliativforum über die Herausforderungen des Prognostizierens in der Palliativbetreuung mit Dr. Elisabeth Medicus und DGKS Monika Töchterler
Wenn das Lebensende eines Menschen bei einer weit fortgeschrittenen Erkrankung absehbar wird, braucht es in den meisten Fällen das ärztliche Gespräch über die Perspektive. Dr. Elisabeth Medicus formulierte es in ihrem Vortrag beim Palliativforum am 14. November 2013 so: „Indem wir den Patientinnen und Patienten Orientierung geben, wie viel Zeit ihnen noch bleibt, geben wir ihnen und ihren Angehörigen die Chance, sich zu verabschieden, Vorbereitungen zu treffen, vielleicht auch Bilanz zu ziehen.“
Doch wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass MedizinerInnen dazu neigen, diese Gespräche zu vermeiden. Medicus zitierte eine Studie von Caldwell (2007), nach der ÄrztInnen in 63% der Fälle zu optimistische Auskünfte geben. Auffällig ist, dass die Schätzgenauigkeit über die verbleibende Lebenszeit sinkt, je stärker die Beziehung zum Patienten bzw. zur Patientin ist.
Arzt/Ärztin soll das Gespräch beginnen
In der gleichen Studie wurde herausgearbeitet, dass PalliativpatientInnen sich wünschen, Informationen über ihre Prognose zu bekommen, solange sie noch kognitiv in der Lage sind, Entscheidungen treffen zu können. Sie möchten außerdem, dass Ärztin oder Arzt die Gespräche beginnen und wollen eher nicht nach der Prognose fragen müssen. Zur Sorge der MedizinerInnen, den PatientInnen durch die Mitteilung einer Prognose die Hoffnung nehmen zu müssen, sagte Elisabeth Medicus: „Wir müssen die Wahrheit sagen, und diese Wahrheit soll Hoffnung enthalten. Hoffnung auf eine gute Symptomlinderung und Hoffnung auf Mitsprache bei Entscheidungen können wir vermitteln, auch wenn wir sagen müssen, dass es sich bei der verbleibenden Lebenszeit eher um Tage als um Wochen oder Monate handelt.“
Das ganze Team muss informiert sein
Die Diplomkrankenschwester und Palliative Care Expertin Monika Töchterler berichtete beim Palliativforum aus der Sicht der Pflege, wie wichtig es ist, dass Aufklärungs- und Prognosegespräche vom multidisziplinären Team vorbereitet und getragen werden. „Wir Pflegenden müssen wissen, was den Patienten gesagt wurde, damit wir sie entsprechend begleiten können. Wenn von Seiten der Medizin schlechte Prognosen verschwiegen werden, müssen wir zusehen, wie jemandem die Chance vorenthalten wird, vielleicht noch wichtige Dinge zu klären oder Abschied zu nehmen“, schilderte sie das Dilemma der Pflegenden, die nicht berechtigt sind, aufzuklären – aber doch häufig in die Situation kommen, den Inhalt des Prognosegesprächs noch einmal erklären zu sollen.
Indirekte Aufforderungen erkennen
„Manchmal fordern uns Patientinnen indirekt auf, über die verbleibende Lebenszeit zu reden“, berichtete Monika Töchterler. „Diese Gelegenheiten dürfen wir nicht übersehen. Wenn ein Patient zum Beispiel fragt, ob es sich überhaupt noch lohnt, die Nägel zu schneiden oder die Haare zu waschen, kann hinter der Frage der Wunsch stehen, über das nahende Ende zu sprechen.“
Elisabeth Medicus ermutigte ihre KollegInnen, Gespräche über Prognosen aktiv zu beginnen – auch wenn es schwierig ist, konkrete Vorhersagen zu machen: „Ich kann eine ungefähre Zeitspanne in Tagen, Wochen oder Monaten angeben. Und ich kann bewusst versuchen, mich dem Gespräch über die Prognose zu stellen, damit ich der betroffenen Person nicht wichtige Zeit zum Abschiednehmen vorenthalte.“
Das Palliativforum ist eine Vortrags- und Diskussionsreihe der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft in Kooperation mit der Ärztekammer für Tirol.
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