Die internationale Hospiz- und Palliativbewegung ist als Antwort auf die vielfältigen Nöte von schwerkranken und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen entstanden. Wir setzen uns seit mehr als 25 Jahren dafür ein, dass alles getan wird, um ein würdevolles Leben bis zuletzt zu ermöglichen – durch eine aktive und umfassende Betreuung und Begleitung. Dieses Angebot umfasst gleichermaßen die körperliche, emotionale, soziale, psychische und spirituelle Dimension und bezieht sich auch auf Angehörige und Vertrauenspersonen.
Wichtig ist, diesen letzten Lebensabschnitt zu schützen, damit alle in Österreich lebenden Menschen bis zuletzt in bestmöglicher Lebensqualität leben können und auch sterben dürfen.
Aufgrund unserer langjährigen Erfahrungen sprechen wir uns klar für eine Beibehaltung der gegenwärtigen Gesetzeslage und gegen die Legalisierung von Tötung auf Verlangen (§77 StGB) und der Beihilfe zum Suizid (§78 StGB) aus.
- Autonomie am Lebensende ist bereits jetzt vielfältig möglich:
- Das österreichische Gesetz schützt die Autonomie von Menschen bei medizinischen Maßnahmen in hohem Maß – niemand darf gegen seinen/ihren Willen behandelt werden, auch wenn die Ablehnung der Maßnahmen zum Tod führt (§110 StGB).
- Eine bereits begonnene lebenserhaltende Maßnahme kann aufgrund einer entsprechenden Willensäußerung der Patientin/des Patienten oder bei Vorliegen einer entsprechenden Patientenverfügung bzw. Nachweis des entsprechenden mutmaßlichen Willens auch wieder abgebrochen werden.
- Mit der in Österreich gesetzlich verankerten Möglichkeit einer Patientenverfügung oder einem VSD Vorsorgedialog® können alle Menschen in weit reichender Autonomie für den Fall späterer Kommunikations- und Entscheidungsunfähigkeit unerwünschte medizinische Behandlungen ablehnen.
- Mit der gesetzlich verankerten Vorsorgevollmacht und weiteren Formen der Erwachsenenvertretung sind die Vertretungsbefugnisse von Angehörigen und Vertrauenspersonen gestärkt.
- Umfassende Betreuung und Begleitung: Aus der praktischen Arbeit mit schwerkranken Patient*innen wissen wir, dass ein Todeswunsch vielfach schwindet, wenn diese Menschen wirksame Linderung und Entlastung erfahren. Das „Ich will nicht mehr leben“ muss übersetzt werden als „Ich will so nicht mehr leben“. Es muss also konkret auf die Nöte und Bedürfnisse des betroffenen Menschen und seiner/ihrer Umgebung eingegangen werden: auf die physischen, psychischen und spirituellen Schmerzen, die Vereinsamung, den Erhalt der Entscheidungsfreiheit. Oft ist die Not der Angehörigen bzw. des sozialen Umfelds größer als die Not der Patient*innen. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass die gezielte Unterstützung von Angehörigen auch Patient*innen spürbar entlasten kann. Qualifizierte multiprofessionelle Hospiz- und Palliativbetreuung und -begleitung sind daher notwendig und sicherzustellen, ebenso wie eine Integration von Grundwissen und Grundhaltung zu Hospiz und Palliative Care in alle Bereiche der Grundversorgung. Weiters sind die Beratung und Information von Betroffenen, ihren Angehörigen und Vertrauenspersonen ein großes Anliegen von Hospiz und Palliative Care (www.hospiz.at, www.palliativ.at).
- In der Behandlung von quälenden Symptomen und Schmerzen ist durch die Novelle des Ärztegesetzes (§ 49a) mehr Rechtssicherheit erreicht worden. Darin heißt es: „Im Rahmen palliativmedizinischer Indikationen ist es zulässig, Maßnahmen zu setzen, deren Nutzen zur Linderung schwerster Schmerzen und Qualen im Verhältnis zum Risiko einer Beschleunigung des Verlusts vitaler Lebensfunktionen überwiegt.“ Es liegen Positionspapiere der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG) zur Palliativen Sedierung sowie zum freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit vor.
- Die Gefahr des Missbrauchs ist absehbar, wenn Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid gesetzlich möglich sind. Es besteht die Gefahr, dass Menschen sich dazu gedrängt fühlen und auf ältere, pflegebedürftige und beeinträchtigte Menschen der gesellschaftliche Druck wächst. Durch das gesetzliche Verbot der Tötung auf Verlangen und der Beihilfe zum Suizid werden Menschen vor diesem Druck geschützt. Niemand muss sich für ein Angewiesensein auf Pflege und Unterstützung rechtfertigen. Tragische Einzelerfahrungen im Umgang mit dem Sterben und mit den Grenzen der Leidensfähigkeit dürfen daher nicht zum Regelfall der Rechtsprechung erhoben werden.
- Wird Menschen die Verfügungsgewalt über die Beendigung des Lebens anderer Menschen zugesprochen, so kommen Ärzt*innen und Pflegekräfte in ein ethisches Dilemma. Die Tötung auf Verlangen widerspricht dem Berufsethos und würde das Vertrauensverhältnis zwischen Patient*innen, Ärzt*innen und Pflegekräften nachhaltig beinträchtigen. Auch kann der Druck steigen, indem diese aufgrund ökonomischer oder anderer Interessen dazu gedrängt werden, einem Sterbewunsch nachzukommen. In ähnlicher Form gilt dies für Beihilfe zum Suizid.
- Eine gesetzliche Freigabe der Tötung auf Verlangen und der Beihilfe zum Suizid hat eine nicht übersehbare Tragweite und birgt die Gefahr der schleichenden Ausweitung der Tötung auf Verlangen auf Patient*innen, die nicht danach verlangen. Bisherige Erfahrungen in Ländern mit einschlägiger Gesetzesregelung zeigen, dass im Rahmen einer gesetzlichen Regelung auch Menschen mit psychischen Erkrankungen und Menschen mit Demenzerkrankungen mit zweifelhafter Einwilligung getötet wurden.
Doch es genügt nicht Nein zu sagen zur Tötung auf Verlangen und zur Beihilfe zum Suizid. Die Not der Betroffenen ist ernst zu nehmen und wirksame Hilfe zu deren Linderung anzubieten. Wir sind herausgefordert, das Sterben als Teil des Lebens zu sehen und gut zu begleiten.
Unsere Forderungen sind:
- Die Hospiz- und Palliativversorgung muss für alle Menschen, die sie brauchen, erreichbar, zugänglich und leistbar sein.
- Die bereits erwähnten Möglichkeiten zur Wahrung der Autonomie am Lebensende und das Wissen um Patient*innenautonomie müssen verstärkt im Bewusstsein der Bevölkerung verankert werden. Kostenfreie Beratungen zur Errichtung einer Patientenverfügung, einer Vorsorgevollmacht sind auszubauen. Die Umsetzung des VSD Vorsorgedialogs® im mobilen Bereich und in Einrichtungen der stationären Betreuung muss finanziert werden.
- Ein Basiswissen zu Hospiz und Palliative Care muss in allen Grundausbildungen der Gesundheits- und Betreuungsberufe (insbesondere Medizin, Pflege, Psychologie, Psychotherapie, Physiotherapie, Behindertenfachbetreuung…) sowie der sozial-spirituellen Berufe (Sozialarbeit, Seelsorge) integriert sein.
- Interprofessionelle Palliativbasislehrgänge und Universitätslehrgänge für Ärzt*innen, Pflegende und psychosoziale Berufe sollen seitens der öffentlichen Hand gezielt und verstärkt regelmäßige Unterstützung erfahren.
- Die umfassende Integration von Hospizkultur und Palliative Care in Senioren- und Pflegeeinrichtungen, Geriatriezentren, Tageseinrichtungen, Hauskrankenpflege, Krankenhäusern, Einrichtungen für Kinder- und Jugendheilkunde und Versorgungseinrichtungen für Menschen mit Behinderung muss forciert werden.
- Die Unterstützungsangebote für pflegende und trauernde Angehörige müssen erweitert und zusätzliche Angebote geschaffen werden.
- Alle Einrichtungen der abgestuften spezialisierten Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich müssen durch die öffentliche Hand finanziert
- Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit sollen dabei unterstützen, Menschen über Betreuung am Lebensende zu informieren und ihnen die Angst vor Abhängigkeit, Autonomieverlust und Leid zu nehmen.
„Du bist wichtig, weil du eben DU bist, du bist wichtig bis zum letzten Augenblick deines Lebens, und wir werden alles tun, damit du nicht nur in Frieden sterben, sondern auch bis zuletzt leben kannst.“
Dame Cicely Saunders (1918–2005), Gründerin der modernen Hospizbewegung
Wien, im März 2020