Gut versorgt, aber nicht gebraucht

Portrait Reimer Gronemeyer
„Die Demenz ist die Rückseite unserer Gesellschaft“, Prof. Reimer Gronemeyer

„80- bis 85-jährige Großmütter in Südafrika haben wegen der ungeheuren Aidsepidemie vielfach alle ihre Kinder verloren. Sie sind oft alleine für ihre über 20 Enkelkinder verantwortlich, und das bei einem Einkommen von unter 25 Euro.“

Bei einem Vortrag auf Einladung der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft im Haus der Begegnung sprach der deutsche Soziologe und Theologe Reimer Gronemeyer über die Zukunft des Alterns im „reichen“ Europa im Vergleich mit anderen armen Ländern oder Kontinenten.

„Diese südafrikanischen Großmütter geben der „Altenhilfe“ einen völlig anderen Sinn. Sie geben Hilfe und brauchen sie nicht selber! Das große Geheimnis der Stärke dieser Frauen ist das Gebraucht-Werden“, meint Gronemeyer.

Jede Zeit hat ihre Krankheit

Da sei es kein Wunder, dass immer mehr EuropäerInnen an Demenz erkranken.

„Ich glaube aber nicht, dass uns die Demenz zufällig ereilt. Sie ist eine Krankheit unserer Zeit. Sie ist die Rückseite unserer Gesellschaft. Einer Gesellschaft der Beschleunigung, Innovation und auch einer Gesellschaft des Vergessens. Die Kälte, die Isolation, die Kopf- und Verstandeslastigkeit, die Informationsflut und eben die Einsamkeit der Menschen kommen in der Demenz zum Ausdruck. Die Zahl der Menschen, die da nicht mehr mitkommt, wächst. Es gibt die Behauptung, dass sich die Menschen bei uns heute mehr vor Demenz als vor Krebs oder dem Tod fürchten.

Die Demenz trifft uns sozusagen im Kern unserer Ängste und unseres Personseins. Die Existenz der Menschen mit Demenz fordert uns zu einer Umkehr auf.“

Kein Recht auf Hoffnungslosigkeit

Gronemeyers Vision einer gesellschaftlichen Umkehr ist dabei frappierend „einfach“.

„Wir müssen uns wieder als Menschen entdecken, die den anderen zu Hilfe kommen.

Die Aufgaben, die ein grauköpfiges, überaltertes Europa mit sich bringt, erfordern mehr und mehr freiwilliges Engagement.“ Und abschließend meint Gronemeyer: „Wir haben nicht das Recht, hoffnungslos zu sein!“

Waltraud Fritz (Ehrenamtliche Mitarbeiterin) und Maria Streli Wolf (Öffentlichkeitsarbeit)

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