Seit einem guten Jahr bin ich nach einem einjährigen Lehrgang für Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung bei der Caritas Mitglied der mobilen Hospizgruppe. Mit dieser Ausbildung habe ich mir einen langjährigen Wunsch am Ende meiner beruflichen Tätigkeit erfüllt. In meinem temporeichen und fordernden Beruf, in der intensiven Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen und in der Begegnung mit vielen Menschen ist mir eines immer wieder zu Bewusstsein gekommen: Letztendlich bewegt die Menschen nichts mehr, als die Liebe und der Tod. Wenn es um Liebe oder Sterben, Abschied, Tod geht, wird alles andere relativ. Und das ist es auch.
Meine Begrenztheit spüren
„Ich gehe ein Stück mit dir“, den letzten Weg von dem wir wissen und der unweigerlich mit einem endgültigen Abschied verbunden ist: Das zu tun bereichert mich sehr, aber es fordert mich auch entsprechend. Obwohl ich in meinem Leben immer wieder unmittelbar mit dem Tod von Eltern, Verwandten, Freunden und Bekannten konfrontiert war und ausgebildet bin in der Begleitung schwerstkranker Menschen und deren Angehörigen, spüre ich vor einer Begegnung nach wie vor meine Unsicherheit, werde von der Sorge ergriffen, etwas Falsches zu sagen, zu tun oder mich zu wenig in die Situation einfühlen zu können. Ich habe aber gelernt, diesen unsicheren Zustand in mir einfach als solchen zu akzeptieren, und ihn – das hilft mir – als normal und adäquat gelten zu lassen. Das große, bewegende Geschehen lässt mich meine Begrenztheit spüren, aber auch meine Wichtigkeit im Dasein. Ich höre auf meinen Atem, suche festen Boden unter meinen Füßen und hole mir in Gedanken liebe Verstorbene zur Seite. Dann gehe ich los und suche die Brücke… Es ist der erste Schritt, der am meisten Kraft braucht.
Die Dichte des Schweigens wächst ins Lähmende
Wir sitzen am Gasthaustisch mit Freundinnen und Freunden und reden über dies und das und plötzlich sagt jemand am Tisch: „Ich wollte euch heute sage, dass ich schwer krank bin und ich weiß nicht, wie lange ich es noch machen werde.“ Die Dichte des Schweigens wächst ins Lähmende, alle starren auf den Teller. In tiefster Betroffenheit sagt dann eine aus der Runde: „Ich bin total geschockt. Ich weiß nicht, was sagen. Was ist passiert?“ Am Ende eines Gespräches, das nicht fließt, aber stattfindet, meint die Betroffene: „Aber noch lebe ich. So intensiv wie noch nie. Und ein Teil davon seid ihr. Also!“
Bis zuletzt leben können
Cicely Saunders, die Begründerin der Hospizbewegung sagt: „…die Sterbenden sind bis zum letzten Augenblick ihres Lebens wichtig, und wir werden alles tun, damit sie nicht nur in Frieden sterben, sondern auch bis zuletzt leben können:“ Und da ist ganz viel möglich. Dieses Mitgehen auf dem Weg zum Tod würdigen wir in diesem Gottesdienst als ein Werk der Barmherzigkeit. Es ist aber auch für einen selbst die Möglichkeit das Unwesentliche auszusortieren. Menschen am Weg zum Tod waren und sind für mich alle NachhilflehrerInnen, um wesentlicher zu werden im Leben: eine Gnadengabe der heiligen Geistkraft.
Trauer braucht Wahrhaftigkeit
Eine fast noch größere Herausforderung ist die Begleitung von trauernden Menschen. Nichts ist wie vorher. Ein „einzigartiger“ Mensch ist unwiederbringlich von uns gegangen und uns zur Seite steht – äußerst anhänglich – die Erinnerung, die oft sehr ambivalent ist. Nicht alles war eitel Wonne. Auch unsere Wahrhaftigkeit steht hier auf dem Prüfstand.
Als Begleitende Anteil nehmen zu dürfen an einem vielschichtigen Trauerprozess, an guten und schmerzlichen Erinnerungen, an dem Ringen des Betroffenen um einen neuen Selbst- und Weltbezug kostet Kraft und manchmal einen langen Atem, da ist nichts zu beschönigen: Sich zurückstellen und doch da sein in der Begleitung (Präsenz, Zuhören, Zeit nehmen, symbolische Gesten), den Respekt des Abstands zu wahren und den Mut der Nähe zu haben.
Den oder die Trauernde dort abzuholen, wo er oder sie steht, ist oft leichter gesagt als getan. Aber warum nicht versuchen? Ich interessiere mich für sein Hier und Jetzt, für seine Welt, nehme sie wahr, würdige sie und bin dort bei ihr oder ihm. Es ist nicht so wichtig gleich einen Trost bei der Hand zu haben. Das was ist, soll man einfach einmal da sein lassen.
“Trauer braucht Wahrhaftigkeit“ bleibt ein entscheidender Satz aus meiner Ausbildung und er gilt für beide Seiten: das Schwierige mit dem anderen zu ertragen, miteinander Rat zu halten und miteinander die Chancen erörtern, in ein neues Leben hinein zu wachsen, um letztlich wieder Ja zum Leben sagen zu können.
Elisabeth Wiesmüller