Im Sterben bleibt immer etwas offen

Maria Streli-Wolf im Gespräch mit Elisabeth Medicus, ärztliche Leiterin, und Elisabeth Draxl, Pflegedienstleiterin in der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft.

Ihr begleitet Menschen an die Grenze des Lebens. Wie geht ihr mit euren eigenen Grenzen um?

Elisabeth Medicus:
Wir begleiten Menschen bis zum Tod, also an jenen Punkt, der uns alle betrifft, den wir aber nicht kontrollieren und steuern können. Der Anspruch, den wir an uns und unsere Arbeit stellen, ist naturgemäß hoch. Bei der Begleitung sterbender Menschen bleibt aber meistens auch etwas offen. Und so müssen wir uns unserer eigenen Grenzen und unserer Ohnmacht bewusst sein und sie auch annehmen lernen.

Wir können viel tun, um das Ende des Lebens lebenswerter zu machen, aber eben nicht alles. Der stärker werdende Ruf nach mehr Regeln, Vorschriften und Strukturen ist vielleicht der gesellschaftliche und auch individuelle Versuch, sich dem Gefühl der Ohnmacht nicht ganz stellen zu müssen. Schließlich kann ich mir dann selbst sagen: „Punkt A, B und C ist erfüllt.“

Wir Menschen neigen ja dazu, das, was offen bleibt, zu verdrängen. Aber wer, wenn nicht wir im Hospiz, sollte sich darin üben, das, was offen bleibt, anzunehmen?

Wie erleben eure PatientInnen und das Team dieses „Es-bleibtimmer- etwas-Offen“?

Elisabeth Draxl:
Ich habe den Eindruck, dass unsere PatientInnen das anders empfinden als wir. Ihnen genügt meist die Hilfe, Linderung und Unterstützung, die sie bei uns im Hospiz oder durch das Mobile Hospiz- und Palliativteam erfahren.Aber uns als Team genügt es oft nicht. Vielleicht, weil wir uns noch schwerer als unsere sterbenden PatientInnen tun, unsere eigene Begrenztheit zu akzeptieren.

Im Laufe der Zeit hat sich im Team der Umgang mit unseren Grenzen verändert. Wir haben gelernt, unser eigenes Tun regelmäßig zu reflektieren. In den letzten Jahren hat sich mithilfe intensiver Begleitung in Form von regelmäßiger Supervision eine gesunde Kultur der Selbstreflexion entwickelt.

Um mit dieser menschlichen Grundspannung von Macht und Ohnmacht besser umgehen zu lernen, braucht es Zeit. Sich dafür Zeit zu nehmen, ist kein Luxus, sondern eine notwendige Voraussetzung für uns und unsere PatientInnen.

Wie hat sich die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen entwickelt?

Elisabeth Medicus:
Unsere Kompetenz wird von Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, anderen Institutionen und Ärzten anerkannt und aktiv gesucht. Gerade in schwierigen, komplexen Situationen werden wir immer mehr in die Betreuung mit einbezogen, damit wir gemeinsam mit den anderen Betreuenden unterstützen und lindern können und die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt sind. Wir bemerken auch, dass die Zuweisungen meist sehr treffend sind. Für mich zeigt sich darin, dass man unseren Auftrag richtig einschätzt.

Elisabeth Draxl:
Auch im Mobilen Hospiz- und Palliativteam wächst die Zahl der Anfragen ständig. Auch dass wir eine hilfreiche Unterstützung für andere betreuende Dienste, wie den Sozialsprengel oder die Hausärzte und -ärztinnen, sind, wird immer mehr wahrgenommen und auch hier steigt die Nachfrage. Diese Entwicklung bestärkt uns, dass wir am richtigen Weg sind.

Foto: Tiroler Hospiz-Gemeinschaft/Gerhard Berger

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