„Irgendwie werde ich gerade eine Neue“ – Warum Trauerbegleitung auch Hoffnung macht

Als Corinna* zum ersten Trauereinzelgespräch ins Hospizhaus nach Hall kommt, wirkt sie angespannt und nervös. Ich bitte sie, am Sofa mir gegenüber Platz zu nehmen. Sie sitzt ganz vorne an der Kante des Sofas, lässt den dicken Wintermantel an und streicht sich mit den Händen über ihre Beine. „Eigentlich weiß ich jetzt gar nicht, was ich sagen soll“, meint sie. „Ich war in meinem Leben nämlich noch nie bei so einem Gespräch oder bei einer Psychologin.“

Ein neues Leben mit Robert

Ich bitte Corinna, mir zu erzählen, um wen sie trauert und dass sie dabei nichts falsch machen kann, dass sie selbst entscheidet, was sie erzählen möchte und was nicht. Daraufhin zieht Corinna ihren Mantel aus und setzt sich ein Stück weiter nach hinten, um bequemer auf dem Sofa sitzen zu können. Ihr Blick wird weicher, ihr Körper entspannter. Mit ihren Händen streicht sie nur noch langsam über ihre Beine. „Es war ein wunderbar lauer Sommerabend, ich saß auf meiner Terrasse und trank mit einer Freundin ein Glas Rotwein, als mich mein Mann anrief. Er war gerade in Frankreich zum Paddeln und ich freute mich riesig, ihn zu hören.“ Robert* war ihr zweiter Mann, den sie vier Jahre zuvor kennengelernt hatte, und, wie sie sagte, „die Liebe meines Lebens, für den ich meinen ersten Mann verlassen habe“. Obwohl die Trennung von ihrem ersten Mann ein schwerer Weg war, eine Scheidung ihren Wertvorstellungen widersprach und sie deswegen immer wieder ein schlechtes Gewissen hat, ist ihre Stimme klar. Sie ist fest überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war, mit Robert ein neues Leben zu beginnen. „Ich lernte lieben, wie ich es vorher nicht kannte.“

Es war nicht Roberts Stimme, sondern die seines Freundes

„Wir waren zu der Zeit quasi noch verliebt, mein Herz hüpfte vor Freude, als sein Anruf kam, bis ich nicht seine, sondern die Stimme seines besten Freundes hörte. Ich wusste in dem Moment, dass etwas nicht stimmt, dass irgendetwas mit Robert passiert war.“

Was sie dann hörte, ist heute, eineinhalb Jahre später, für sie immer wieder nicht begreifbar, „irgendwie unwirklich“. Robert war beim Paddeln verunglückt und ertrunken. „Im Bruchteil einer Sekunde war ich neben mir, konnte mir wie von außen zuschauen, wie ich funktionierte. Das, was mit Robert passiert war, dass er nicht mehr lebte, war außerhalb von mir, als hätte es nichts mit mir zu tun.“

„Ich habe einfach nur überlebt“

So erlebte sie die Tage bis zum Begräbnis und auch die ersten Monate nachher. „Ich habe einfach nur überlebt, meine zwei Kinder versorgt, den Haushalt gemacht und die vielen organisatorischen Angelegenheiten erledigt, ich habe einfach nur überlebt, gelebt habe ich nicht.“ Jetzt setzt sich Corinna noch weiter zurück und lehnt sich an der Lehne an. Sie atmet tief ein und aus und seufzt. „Unglaublich, diese erste Zeit, ich war vollkommen abgeschnitten von meinen Gefühlen und habe die Wirklichkeit komplett verdrängt. Auch jetzt noch gibt es Momente, in denen ich glaube, jetzt kommt Robert bei der Türe herein. Das ist doch irgendwie nicht normal?“, fragt sie.

Dass das eine ganz normale Schutzreaktion sei, um die grausame Wirklichkeit nur Schritt für Schritt an sich heranzulassen, entlastet sie sehr. Tränen fließen und Corinna entschuldigt sich dafür, weil sie sich sonst nicht so gehen lasse und gut im Griff habe. „Aber“, meint sie, „seit dem Tod von Robert ist alles anders.“ Am Ende des Gesprächs frage ich Corinna, ob sie noch nervös sei. „Nein, gar nicht, es hat mir gutgetan, das alles einmal aussprechen zu können.“

„Ich wollte keine Heulsuse sein“

Beim zweiten Gespräch einen Monat später spüre ich, dass schon eine gewisse Vertrauensbasis da ist. Corinna kennt mich und weiß, dass sie hier nichts erfüllen muss. Diesmal beginnt sie gleich zu erzählen. Dass es bessere und sehr schlechte Tage gäbe, dass die Trauer in Wellen komme und sie sich auch immer wieder erlaube zu weinen. wenn sie alleine ist. „Ich war immer ein bisschen stolz auf mich, dass ich nicht so eine Heulsuse bin. Und jetzt habe ich es manchmal einfach nicht im Griff und mir kommen die Tränen. Wenn ich unter Menschen bin, versuche ich sie hinunterzuschlucken, aber wenn ich alleine bin, dann lasse ich sie fließen.“ Wie es sich anfühlt, wenn sie die Tränen fließen lässt, frage ich Corinna. „Entlastend“, meint sie. „Es nimmt mir zwar nicht die Trauer, aber den Druck, der mir manches Mal fast die Brust zersprengt.“ Obwohl Corinna nicht gerne vor anderen Menschen weint, spürt sie, dass der Schmerz und die Trauer in ihr von innen nach außen möchten, und das verändert, wie sie schmunzelnd meint, ihren strengen Blick auf Heulsusen. Nach diesem Gespräch möchte Corinna keinen weiteren Termin ausmachen. Ich biete ihr an, dass sie sich, wenn sie möchte, für ein drittes Gespräch melden kann.

Löwenzahn
Wer die Trauer durchlebt, kann ganz neue Seiten an sich entdecken.

„Wer bin ich ohne dich?“

Fast ein Dreivierteljahr später ruft Corinna an, dass sie gerne noch einmal kommen möchte. Ganz selbstverständlich setzt sie sich aufs Sofa, wirkt entspannt, nimmt einen Schluck Wasser: „Heute bin ich hier, um mich zu bedanken. Die letzten Monate waren sehr herausfordernd. Aber es hat sich so viel gewendet, auch zum Guten. In vielen Gesprächen mit meiner Freundin habe ich erkannt, dass ich seit meiner Jugend ununterbrochen in Partnerschaften war, dass ich gar nie gelernt habe, alleine zu sein. Meist habe ich meine Bedürfnisse hintangestellt und mir nur wenig zugetraut. Jetzt lebe ich schon einige Zeit alleine, bin durch diese schwierigste Zeit meines Lebens alleine gegangen, werde gerade eine Neue und frag mich jetzt, wer ich eigentlich ohne Partner bin und was ich will.“ Corinna erzählt mir, dass sie sich auf den Weg machen möchte, sich selbst besser kennenzulernen. „Und Sie“, sagt sie zu mir, „waren die Türöffnerin.“

*alle Namen geändert

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