Die bekannte Tiroler Schauspielerin Julia Gschnitzer im Gespräch mit Maria Streli-Wolf und Urban Regensburger über ihr Leben und das Sterben.
Wie würden Sie sich Ihr persönliches Sterben wünschen?
Kurz und bündig, das heißt schnell und schmerzlos. So würde ich es mir wünschen! Aber man muss es nehmen, wie es kommt, und zum Glück wissen wir das nicht. Es ist gut, dass wir es nicht wissen und auch nicht wissen, wann.
Finden Sie es gut, dass wir unser Ende nicht planen können?
Ja, Gott sei Dank! Wir wissen doch unser ganzes Leben nicht. Wir haben Träume. Wir haben Wünsche, wenn wir Kinder sind. Dann gehen wir in die Schule und dann ist das einmal einen Moment wichtig. Als nächstes steht das Gymnasium vor der Tür und man sagt: „In welche Richtung möchtest du dich entwickeln, was möchtest du machen?“
Gut, ich habe gewusst, was ich machen will, und studieren wollte ich auf keinen Fall. Ich habe dann ein Leben gelebt wie im Bilderbuch, möchte ich fast sagen. Wirklich, ich habe einfach Glück gehabt. Aber gewusst habe ich das nicht. Jeder Tag bringt Neues und man muss mit dem Unbekannten leben, damit umgehen.
Ich finde es schrecklich, wenn man versucht, alles zu planen. Wir nehmen uns damit auch viel. Sicher, man kann nicht nur in den Tag hineinleben. Wie gesagt, ich habe einen Beruf, ich habe den geliebt, wollte nie was anderes und durfte ihn bis heute ausüben. Das ist ja schon ein Geschenk und die Zeiten haben sich verändert. Aber trotzdem, ich kann jetzt nicht sagen, dass ich wirklich ein gläubiger Mensch bin. Ich bin nicht getauft. Ich war nie in einem Gottesdienst, und doch gibt es für mich etwas, das über uns ist und dem man sich irgendwie anvertrauen sollte.
Ich bin zum Glück ein Optimist. Ich kann, wenn es mich so hinuntertaucht, wieder aufstehen. Das ist mein Naturell.
Taucht es Sie manchmal hinunter?
Ja, natürlich, jeden Menschen, das gehört auch zum Leben. Man muss auch das annehmen und das Beste daraus machen – oder es zumindest versuchen.
Sie haben schon oft in Werken gespielt, die das Thema „Tod und Sterben“ zum Schwerpunkt haben. Wie hat die künstlerische Auseinandersetzung Ihren Blick darauf verändert?
Wenn man sich Wochen, ja Monate mit dem Tod beschäftigen muss, kann man das nicht wegschieben. In dieser Zeit wird man den Tod nicht los – natürlich vorübergehend, wenn ich mit jemanden spreche oder jemanden treffe –, aber der Tod sitzt da drinnen und man darf ihn auch nicht loswerden. Das ist die Belastung im Beruf, die wir eben natürlich auch erleben. Wenn es einem gelingt, es so glaubhaft wie möglich zu bringen, dann ist man als Künstlerin auch glücklich, dass man das geschafft hat.
Wenn man solche Rollen spielen musste – und je älter man wird, umso häufiger passiert das –, schläft man schlecht und kann nichts anderes lesen, nicht wirklich. Man versucht sich abzulenken. Noch am besten geht es mir dann in der freien Natur, die brauche ich überhaupt und die brauche ich dann ganz besonders: für die Seele, dass ich das überstehe. Der Beruf verpflichtet einen ja, da ganz aufzugehen.
Was belastet Sie bei solchen Rollen am meisten? Ist es die eigene Endlichkeit?
Da muss ich jetzt etwas ausholen. Wie ich schon gesagt habe, ich bin eigentlich immer ein sehr positiver Mensch. Diese Kraft und Energie scheint sich auch auf das Publikum zu übertragen. Mir wird immer wieder von Leuten gesagt: „Ach, ich gehe so gern in deine Stücke, weil da gehe ich nachher gestärkt hinaus.“ Das ist mein Naturell. Das ist kein Verdienst, das ist ein Geschenk.
Das Belastende an diesen Rollen ist die Tatsache, dass der Tod irgendwann unweigerlich auf einen zukommt. Mit jedem Tag wird man älter, also rückt er jeden Tag näher.
Sie leben also noch sehr gerne?
Ja. Ich gebe es zu, ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass ich einmal nicht mehr lebe, obwohl ich es weiß. Wenn man ehrlich ist, kann sich das niemand vorstellen.
Macht es Ihnen Angst?
So weit lasse ich es nicht kommen. Ich weiß ja nicht, wie es wird. Meine Großmutter ist selig im Bett eingeschlafen. Die hat die Tante angeschaut, hat sich hingelegt und ist eingeschlafen. Vielleicht habe ich dieses Glück.
Oder von mir aus kann es ein Herzschlag sein: wie mein Vater sterben musste, verhältnismäßig früh. Meine Mutter hat einen Gehirnschlag gehabt, also auch keine Leidenszeiten vorher – wenn du nicht weißt, wann das auf dich kommt.
Was denken Sie über das Hospiz?
Ich weiß, wie notwendig diese Einrichtung ist. Ich weiß nicht, ob ich es selbst einmal brauche. Der Gedanke des Abhängig-Werdens von anderen, das ist für mich das Schlimmste. Ich konnte und durfte ein Leben lang tun, was ich wollte, und war völlig autonom.
Seelische Hilfe anzunehmen, kann ich mir eher vorstellen. Aber wenn man körperlich völlig hilflos wird, dieses Ausgeliefertsein ist für mich schwer zu ertragen.
Ein Stück ausgeliefert?
So ist es, komplett.
Ist das Sterben in einer Tabuzone?
Das ist ein völliger Blödsinn. Wir werden geboren und wir müssen sterben und dazwischen haben wir, je nachdem, unser Leben. Das Sterben war von Anfang an inbegriffen.
Wird das Sterben verdrängt?
Ja, aber ich glaube, das ist bis zu einem gewissen Grad auch ein notwendiger Egoismus. Konfrontiert werden wir damit ja immer wieder.
Meinen ersten wirklichen Todesfall, der mir nahe gegangen ist, war in der ersten Volksschule. Meine Platznachbarin, mit der ich befreundet war, ist an Schwindsucht gestorben. Damals hat man noch die Kinder in der Kirche aufgebahrt. Wie ich die da gesehen habe – ich weiß, ich bin schreiend aus der Kirche heimgelaufen.
Sie saß neben mir und wir haben schreiben gelernt und drei Monate später liegt sie da. Das habe ich einfach nicht verkraftet. Jeder ist erschrocken, dass ich da schreiend weglaufe. Ein anderes Kind würd’ hier vielleicht anderes reagieren, macht zu und verstummt. Jeder Mensch geht mit dem Tod auch anders um.
Bis man solche Dinge verarbeitet hat, das braucht einfach Kraft und Zeit. Der Verlust eines Menschen ist ein großer Schmerz. Das ist immer das Schrecklichste, was einem passieren kann. Wenn es ein Kind ist – ich weiß nicht, wie ich das überlebt hätte.
Für Sie ist die Verdrängung des Todes wichtig?
Für mich ist das ganz wichtig, bis zu einem gewissen Grad. Sonst müsste ich jetzt anfangen, alles, was ich habe, wegzugeben und nur das Notwendigste zu behalten. Aber dann die leeren Wände, das ertrage ich ja nicht. Ich muss ja noch weitermachen. Ich mach weiter, solange es geht.
Sonst geht der Wille zum Leben weg?
Ich glaube, dass mit Passivität auch nicht geholfen ist. Im Gegenteil. Ein Mensch, der sich aufgibt, der kämpft ja auch nicht mehr. Der andere, der sich noch nicht aufgibt, entwickelt Kräfte.
Ich fürchte leider, dass vielen alten Menschen plötzlich die Realität genommen wird und sie sich nicht mehr freuen können oder nicht mehr wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen: Das muss sich ja auswirken!
Man dürfte, solange man irgendetwas machen kann, es tun: Beschäftigung, völlig egal, was ich mache. Jeder Mensch braucht eine Aufgabe – und wenn er mit den Kindern spazieren geht. Nur von einer Freizeitaktivität zur nächsten zu eilen, ist zu wenig.
Das ist die Langfassung eines Interviews mit Julia Gschnitzer, das auch in der Kurzfassung in unserer Vereinszeitung Sonnenblume im Dezember 2016 erschienen ist.
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