Leben am Rand

Ein obdachloser Herr liegt im Park. Er hat nicht viel: Einen Schlafsack, eine Matte, eine Plastiktasche mit seinen Habseligkeiten und eine Bierdose in der Hand. Was hat dieser Mensch für eine Geschichte? Warum liegt er da hier und jetzt?

Elisabeth Draxl begleitet Betroffene im Rahmen des Projekts „LEO – Hospizarbeit am Rande der Gesellschaft“. Sie kennt ihre Geschichten, ihre Sorgen und ihren Lebenswillen. Im Folgenden einige Auszüge aus ihrem Projekttagebuch:

Marlene möchte nach Afrika

Marlene treffe ich an der Straßenbahnhaltestelle. Marlene hat ein aufregendes Leben hinter sich. Sie ist drogen- und alkoholkrank und leidet zunehmend unter starker Demenz. Sie hat ihren PIN-Code wiedergefunden, erzählt sie mir, und jetzt geht sie damit ihren Pass abholen, um endlich nach Afrika reisen zu können.

„Nein“, gegessen hat sie nichts und deshalb auch großen Hunger, zudem ist ihr Gebiss gebrochen. Na ja, da gibt es wohl viel zu tun. Ich teile mit ihr meine „Notfallration“ und begleite sie in die Stadt, um ein wenig Ordnung in die verzwickte Situation zu bringen.

„Halleluja“-Michael

Dann treffe ich wieder einmal unseren Halleluja-singenden Michael auf der Straße – in kurzen Hosen, barfuß und seinen „Marienwein“ in der Hand. Er pöbelt alle Menschen an, seine Beine sind voller Blut und eiternder, offener Stellen. Um den rechten Fuß, der offenbar schwer betroffen ist, hat er ein M-Preis-Sackerl gewickelt.

Trotz aller selbstverordneten „Urinkuren“, die Keime absterben lassen sollen, verschlechtert sich sein Allgemeinzustand, sein Befinden. Wir setzen uns auf die Straße und ich darf seine Beine notdürftig versorgen und verbinden. Die Menschen rundherum sind verwirrt und irritiert.

Thomas geht auf Entzug

Thomas ist 29 Jahre alt, hat keine Zähne mehr und ist neben seiner Drogensucht auch alkoholkrank. „Morgen habe ich einen Termin auf der Entzugsstation in Hall und deshalb muss ich diesen Tag noch genießen.“ Dementsprechend greift er nach dem nächsten Bier in einer Plastiktasche.

Er lallt etwas und spricht verschwommen, lässt sich in meine Arme fallen. „Ich bin doch noch so jung, ich spucke Blut und ich kann doch nicht immer Alkohol trinken …“ Weinend erzählt er mir von seiner Angst, es wieder nicht zu schaffen.

Elisabeth hat noch viele weitere Geschichten aufgezeichnet. Geschichten von Menschen, die gestrauchelt und gefallen sind, die alleine ohne helfende Hand nicht mehr aufkommen. Sie erzählen von der Zerbrechlichkeit der Lebensentwürfe, dem Scheitern und dem Weitermachen trotz allem.

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