Erich Lehner, Psychotherapeut und Männerforscher, hat ein hilfreiches Buch geschrieben. Maria Streli-Wolf, Leiterin der Kontaktstelle Trauer bei der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft, sprach mit ihm über Trauer bei Männern und Frauen.
Für wen haben Sie Ihr Buch geschrieben?
Es gibt ein Vorurteil, dass Männer keine Emotionen hätten und sich so beim Trauern schwertäten. Ich möchte mit meinem Buch Verständnis schaffen und einen differenzierten Blick auf die Vorstellungen von männlicher Trauer werfen. Das Buch richtet sich an Interessierte, an trauernde Männer, die ihre Trauer nicht so ausdrücken, wie es von ihnen erwartet wird, und die vielleicht darunter leiden, aber auch an Menschen, die trauernden Männern begegnen, und Frauen, die „männliche Trauerausdrucksformen“ verstehen möchten.
Trauern Männer anders? Haben sie weniger Gefühle?
Die Wahrnehmung von außen ist, dass sie weniger Gefühle zeigen oder dass sie weniger Zeit zum Trauern brauchen. Männer drücken ihre Trauer oft anders aus. Beispielsweise durch Bewegung, dabei laufen einige Gefahr sich abzulenken, indem sie noch mehr Sport machen oder noch mehr arbeiten. Aber wichtig ist, dass Trauer unter Männern genauso individuell gelebt wird wie unter Frauen. Grundsätzlich ist es schon so, dass Frauen eher mehr Gefühlsausdruck zeigen, indem sie weinen, über ihre Trauer und ihren Schmerz erzählen. Mein Anliegen ist, dieses Klischee nicht zu verstärken, dass Männer weniger trauern oder ihre Trauer nicht zeigen. Aber sie leben ihre Trauer eben oft anders als Frauen.
Woher kommt diese Tendenz, dass Männer ihre Gefühle stärker kontrollieren?
Das hat etwas mit unserem traditionellen, klassischen Geschlechterverhältnis zu tun. Hier wird der Frau sozusagen das „Innen“, die Familie, das Heim zugewiesen. Der Mann geht hinaus, geht ins Leben, ernährt die Familie und ist in der Arbeit. Dort ist er häufig unter Männern und das klassische Männerbild ist oft davon geprägt, wie sich der Mann unter anderen Männern durchsetzen kann. Dieses Bild, wenn auch sehr vereinfacht, prägt immer noch, wie ein Mann zu sein hat, und ist geprägt von Dominanz, Konkurrenz und Hierarchie. Wenn ich so sozialisiert bin, und das sind immer noch sehr viele Männer, dann entstehen sogenannte Partnergegnerschaften. Das heißt, Männer sind sehr wohl miteinander solidarisch verbunden, zugleich ist der andere Mann aber auch mein Gegner. Und so versteht man vielleicht, dass es für Männer ungleich schwieriger ist, Gefühle zu äußern, besonders vor anderen Männern, weil sie das verletzlich machen würde.
Zusätzlich haben dann viele Angst, dass sie in ihren Gefühlen untergehen könnten, dass sie darin schwimmen. Daher ist es unter Männern üblich, Gefühle zu kontrollieren, sie schauen, dass sie Haltung bewahren. Viele Männer wollen auch in ihrer Trauer weiter funktionieren, sowohl für sich selbst als auch in Verantwortung für andere, für ihre Familie. Aber das bedeutet nicht, und das ist mir sehr wichtig, dass Männer weniger Gefühle haben.
Im Trauerprozess kommt es häufig zu Unverständnis und Konflikten zwischen Männern und Frauen, vor allem zwischen Paaren. Wie kann man hier Verständnis füreinander schaffen?
Als klassisches Beispiel möchte ich ein Paar nennen, dessen gemeinsames Kind verstorben war. Bei ihnen war es so, dass die Mutter stark in der Verlustorientierung war. Das heißt, sie setzte sich sehr stark mit dem Verlust auseinander, zeigte starke Emotionen und hatte ein starkes Bedürfnis, über den Verlust und ihr Kind zu reden. Ihr Mann war in der Krankheit der Tochter und in der ersten Zeit nach dem Tod des Kindes, als er nicht in der Arbeit war, eine starke Stütze für sie. Als ihr Mann dann wieder arbeiten ging und dort funktionieren musste, hatte sie den Eindruck, dass er nüchterner geworden sei und nicht mehr trauern würde. Ihr Mann erzählte daraufhin, dass er am Weg von der Arbeit nach Hause einige Stationen früher aus dem öffentlichen Verkehrsmittel aussteigt, damit er in Ruhe zu Fuß nach Hause gehen kann. Diese Zeit nützte er, um an sein verstorbenes Kind zu denken und zu trauern. Seine Frau war dann sehr erleichtert, dass er doch noch trauert. Zum einen kann helfen, Verständnis dafür zu schaffen, dass jeder Mensch aufgrund seiner Geschichte, seinem Geschlecht und seiner Sozialisierung unterschiedlich trauert und seine oder ihre Gefühle ausdrückt. Trauern heißt zu akzeptieren, dass das Leben endlich ist, nicht planbar und kontrollierbar und dass Menschen es letztlich nur in gegenseitiger Verbundenheit, vielleicht sogar Abhängigkeit, bestehen können. Dort, wo Trauer von Männern wahrgenommen, angenommen und gelebt wird, kann sie somit auch den Weg zu alternativen Männlichkeitsentwürfen sein und kann den Weg zu einem erfüllteren Menschsein weisen