Eine schwere Erkrankung bringt unweigerlich einen veränderten Umgang mit der eigenen Sexualität mit sich. Für die meisten Menschen klingt das völlig naheliegend und logisch, trotzdem ist das Thema ein Tabu, über das viel zu wenig gesprochen wird, stellte Dr. Elisabeth Ritter in ihrem Vortrag beim Palliativforum am 10. März fest.
Grundbedürfnisse erlöschen nie
Elisabeth Ritter ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Zusatzausbildungen in Psychoonkologie, Palliativmedizin und Sexualmedizin. Man müsse Sexualität weiter definieren und dürfe sie nicht auf den Geschlechtsakt reduzieren: „Sexualität ist ein psychosoziales Grundbedürfnis. Und Grundbedürfnisse erlöschen nie, auch nicht bei schwerer Krankheit.“ Sehr wohl würden sie sich jedoch wandeln: Körperliche Veränderungen, die psychische Belastung durch die Diagnose einer schweren Krankheit und die Wirkung von Medikamenten können dazu führen, dass Sexualität nicht mehr in der gewohnten Form lebbar ist. Was das für die PatientInnen bedeutet, ist nach der Erfahrung von Elisabeth Ritter ganz unterschiedlich, je nachdem, ob sie Sexualität in ihrem Leben vorwiegend positiv oder negativ erlebt haben: „Es kann sein, dass sie diese Veränderungen sehr betrauern, es ist aber auch möglich, dass sie darüber erleichtert sind.“
Veränderungen sind normal
Um herauszufinden, ob ein Patient oder eine Patientin in diesen Fragen Unterstützung braucht, sollten die BehandlerInnen das Thema Sexualität offen ansprechen: „Wir müssen den Menschen vermitteln, dass die Veränderungen, die sie erleben, normal sind“, erklärte die Sexualmedizinerin. „Sonst kann es passieren, dass sie das Gefühl haben, zu versagen – und das nagt natürlich sehr am Selbstwert.“
Hormonelle Behandlungen, aber auch Antidepressiva oder andere Medikamente können sexuelle Funktionsstörungen bewirken. Elisabeth Ritter hat beobachtet, dass Ärztinnen und Ärzte manchmal dazu neigen, diese Nebenwirkungen zu verschweigen, weil sie fürchten, dass die PatientInnen dann die Medikamente nicht einnehmen. Ihrer Erfahrung nach ist es aber genau umgekehrt: Gute Information schafft Klarheit und reduziert Stress. Und Stress wirkt sich auf die Sexualität immer negativ aus.
Gespräche möglich machen
Elisabeth Ritter ermutigt alle, die mit schwer kranken Menschen arbeiten, sich als GesprächspartnerIn zum Thema Sexualität anzubieten. Man könne davon ausgehen, dass 80 Prozent aller PatientInnen darüber sprechen möchten, dass sich aber 75 Prozent nicht trauen. „Der Patient oder die Patientin wählt den Zeitpunkt für das Gespräch, aber es ist unsere Aufgabe, Offenheit zu vermitteln und das Gespräch damit möglich zu machen“ sagte die Sexualmedizinerin. Allerdings sollte man das Thema Sexualität nur ansprechen, wenn man es selbst nicht als peinlich empfindet – sonst sei niemandem geholfen.
Neue Formen finden
Häufig ist es für Paare schwierig, miteinander über ihre sexuellen Bedürfnisse zu sprechen. Auch hier kann die Unterstützung durch Arzt, Ärztin, TherapeutIn oder Pflegeperson hilfreich sein, sagte Elisabeth Ritter in ihrem Vortrag: „Viele PatientInnen haben große Sehnsucht nach Zärtlichkeit, aber Angst, damit im Partner oder der Partnerin den Wunsch nach ‚mehr’ auszulösen. Solche Dinge müssen besprochen werden, dann kann oft eine neue Form der Nähe entstehen, die als wohltuend erlebt wird.“
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