Dienstag, Ende Oktober. Heute ist Hr. E zum ersten Mal im Tageshospiz. Vorsichtig, fast scheu, schaut ein rüstiger Herr, grauhaarig und bärtig, um die Ecke vom „Wohnzimmer“ in die angrenzende Kapelle. Hr. E. war nicht sicher, ob er heute kommen soll. Eigentlich ist er lieber daheim. Seine Schwiegertochter aber macht sich Sorgen, nicht nur um Hr. E., sondern auch um seine Frau. Alle bräuchten mal eine Pause.
Hr. E. ist – war – Bergsteiger. Ob er einmal die Kapelle von innen sehen dürfe. Wir setzen uns. Er lobt die ruhige Atmosphäre der Kapelle, dann beginnt er unvermittelt über seine „Kapellen“ zu sprechen: die Berge. Ich höre zu, nicht als Professioneller, sondern als Mensch, als unbekannter Seilkamerad. Karwendel, Rofan, Kalkkögl, dann Matterhorn, Mont Blanc. Auch Riskantes, oft Glück gehabt, überlebt. Und jetzt – diese Krankheit, die er wahrscheinlich nicht überleben wird. Wir reden lange. Wie alte Freunde, die sich erst seit einer Stunde kennen.
Hr. E. ist jeden Dienstag ins Tageshospiz gekommen. Baden, Verbände wechseln. Ratschen – nicht nur – aber am liebsten über die Berge. Damit er möglichst lange zu Hause sein kann, haben seine Nächsten und wir gemeinsam geholfen, die Betreuung für daheim zu organisieren. Auszeit für seine liebenden Angehörigen. Zeit zum Nachdenken. Zeit für Erinnerung. Zeit für Abschied.
Als Bergsteiger gewohnt mit dem Minimum auskommen zu müssen, selbständig zu bleiben, nicht vorschnell aufzugeben. Das waren seine Ideale. Mit Hilfe seiner Familie, des Mobilen Palliativteams, des Tageshospizes und der Palliativstation konnten wir Hr. E. helfen, diesen letzten Gipfelgang, wahrscheinlich seinen größten, so zu gehen, wie er es wollte.
Piet Wolters, Leiter Tageshospiz
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