„Der Hospizgedanke ist in Tirol angekommen. Er muss weiterhin gehütet werden.“ Dr.in Elisabeth Medicus, ärztliche Direktion
Ein heilsamer Raum für das Lebensende
„Hobt’s an Schnea?“ So wurde ich vor zwanzig Jahren von einem freundlichen Telefonisten der Klinik Innsbruck gefragt, nachdem ich mich mit meinem Namen und „Hospiz“ bei ihm gemeldet hatte. Damals war Hospiz noch untrennbar mit dem Arlberg und Herrn Adi Werner verbunden.
Als grundsätzliches Bild ist das nicht so weit hergeholt – das Hospiz am Arlberg ist wie Hospize auf der ganzen Welt ein gastfreundlicher Lebensort für die Mühsal des Übergangs.
Was hat sich in den letzten zwanzig Jahren verändert?
Wenn heute das Wort Hospiz fällt, so erzählen mir viele Menschen von ihren Erfahrungen, die sie als Angehörige, als Freunde, als Anfragende mit dem Hospiz in Tirol gemacht haben. Einmal hat mir ein jüngerer Mann, dessen Vater auf der Station verstorben ist, gesagt, dass die Begegnung mit Hospiz sein Leben grundlegend verändert habe: Er wisse jetzt, dass das Sterben zum Leben gehöre und einen wertvollen Platz im Leben habe. Ich bin mit der unbestimmten Überzeugung angetreten, dass das Lebensende in der Medizin einen guten Platz braucht: Mir war damals klar, dass diese Räume erst geschaffen werden müssen – Räume, in denen das Werkzeug der Palliativbetreuung wirksam sein kann. In Tirol war dieser Raum bei einem kleinen Verein überzeugter Menschen angesiedelt, die vor etwas mehr als zwanzig Jahren eine Station mit acht Betten errichtet haben. Sie haben Raum für jene Menschen geschaffen, deren Zuhause kein guter Ort fürs Sterben ist oder die fürs Sterben kein Zuhause haben.
Heute ist das grundlegend anders. Die öffentliche Hand hat sich des Themas angenommen. Im ganzen Land werden Menschen wirksam dabei unterstützt, zu Hause sterben zu können. Im ganzen Land entstehen in den Einrichtungen des Gesundheitswesens Räume für Hospiz- und Palliativbetreuung. Die Tiroler Hospiz-Gemeinschaft hat inzwischen 3.800 Vereinsmitglieder.
Was sind Ingredienzien für den heilsamen Raum am Lebensende?
Sterbende Menschen brauchen Schutz. Sie brauchen Linderung für Schmerzen, Halt in der Angst, Trost in der Verzweiflung, Bedeutung im Angewiesensein, Entlastung für Angehörige. Wie geht das? Von Seiten der Medizin braucht es das fachliche Wissen in der Symptomlinderung sowie die Bereitschaft und die Fertigkeit, über das zu reden, was die kranken Menschen und ihre Angehörigen beschäftigt: Wie viel Zeit habe ich noch? Wie wird das Sterben sein? Was nützt? Was schadet? In der Begegnung mit den sterbenden Menschen braucht es von Seiten aller Berufsgruppen die radikale Orientierung an den Betroffenen. Das ist Palliativbetreuung.
Die Hospizbewegung stellt diese Weise der Betreuung in einen gesellschaftlichen Rahmen, der dem Sterben als einem großen Ereignis des Lebens gerecht wird; sie erweitert den Raum, den ein gutes Sterben braucht, in die Gesellschaft hinein.
Platz machen – wofür?
Medizin schützt das Leben bis zuletzt und ist darin erfolgreich geworden. Doch sie hat auch zu erkennen, wann ein Mensch stirbt und nichts mehr zu machen ist. Dann hat medizinischer Lärm keinen Platz mehr. In erster Linie muss Platz sein für die Angehörigen als BegleiterInnen sterbender Menschen; Platz für Pflege, die bei dem hilft, was der kranke Leib nicht mehr schafft; Platz für die Sorgenden um die Seele, Platz für Sozialarbeit und für Menschen, die ihre Zeit schenken, wenn sonst niemand da sein kann; Platz für den Abschied und für die Trauer.
Welche Räume sind noch auszubauen?
Die Integration der Palliativbetreuung ins Gesundheitswesen ist zwar im Gange, doch es gibt noch viel zu tun: Es braucht Aus- und Weiterbildung, die Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten, Forschung, Nachdenken über ethische Fragen, über Strukturen und Abläufe, über das Wesen der Zusammenarbeit in Teams und über die Struktur von Palliativeinrichtungen. Es ist dafür zu sorgen, dass schwer kranke und sterbende Menschen kompetente Hilfe in ganz Tirol erhalten und dass Palliativbetreuung in Krankenhäusern, Pflegeheimen und bei der Betreuung daheim selbstverständlich wird. Der heilsame Ort für das Lebensende kann überall sein. Und hier schließt sich der Bogen zum freundlichen Telefonisten in der Klinik. Denn Menschenfreundlichkeit, so habe ich in all den Jahren erfahren und gelernt, ist eine einfache Tugend, die heilsame Räume öffnet. Sie kann nicht alles machen. Sie ersetzt nicht Sorgfalt und Kompetenz im professionellen Tun. Aber sie macht das Leben und auch das Sterben leichter.
Raum für Neues: Was will werden? Was bleibt?
Wenn Menschen gehen, wird Raum für Neues frei. Die, die bleiben, werden sich neu zusammenfinden; die, die kommen, bringen Neues mit; die, die gehen, können in neuen Räumen ihre Erfahrungen einbringen. Das wünsche ich allen: Den Mut für den Blick in die Landschaft, die sich am Übergang zeigt, den Mut, in diese Landschaft zuversichtlich hinein zu gehen. Die Aufgabe ist überall die gleiche: heilsame Räume für das Leben gemeinsam zu gestalten.
Dr.in Elisabeth Medicus, ärztliche Direktion
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