Frau Anna ist Patientin auf der Hospiz- und Palliativstation. Heute bekommt sie Besuch von Raphael, ihrem jüngsten frisch geborenen Enkel. Raphael weint und schreit, was das Zeug hält. Der Patenonkel versucht ihn zu beruhigen. Ohne Erfolg. Raphael wird zu seinem Vater weiter gereicht. Aber er schreit weiter. Das Kind landet in den Armen seiner Mutter. Auch sie vermag das kleine Elend nicht zu beruhigen. Schließlich liegt Raphael in den Armen seiner kranken Oma. Von einer Sekunde auf die andere hört Raphael auf zu schreien. Er liegt friedlich, bald schlafend am Herzen der kranken Oma.
Diese Begebenheit, die sich vor einigen Jahren auf unserer Hospiz- und Palliativstation ereignete, hat meinen Blick für ältere Menschen, für Omas oder Opas geschärft. Wann immer Menschen wie Frau Anna sterben, beschleicht mich als Seelsorger ein Gefühl besonderer Traurigkeit. Denn unsere Welt ist durch ihren Tod wieder ein Stück ärmer geworden an Mütterlichkeit, an Reife und Weisheit des Alters. Denn von Menschen wie Frau Anna geht ein Friede aus. Das mag der kleine Raphael am Herzen der kranken Oma gespürt haben. Während wir als Begleitende oder Angehörige am Krankenbett oft überfordert wie die „Pudel“ da stehen, sind Menschen wie Frau Anna nicht selten der ruhende Pol im Ganzen. Während wir glauben, dauernd das „Maul“ offen zu haben, geht von ihnen ein Friede aus. Menschen wie Frau Anna haben scheinbar nach langem Ringen mit ihrer Krankheit schon die innere Ruhe gefunden. Sie sind uns in vielem voraus.
Christian Sint,
Seelsorger an der Hospiz und Palliativstation Innsbruck
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