„Es wird eine Weihnachtsfeier mit den Bewohner*innen im kleinen Rahmen geben, aber sicher nicht in der Form, wie wir das immer gehabt haben, mit vielen Angehörigen und Musik und allem Drum und Dran,“ meint eine Mitarbeiterin eines Pflegeheims wehmütig.
Dilemma zwischen Schutz und Freiheit
Was im Jahresverlauf in Pflegeheimen bisher als selbstverständliche Grundsäulen galten, bröckelte durch Covid-19 oder zeigte sich in veränderter Form. Während Bewohner*innen bis März 2020 ihr Leben je nach körperlicher Verfassung und psychisch-seelischer Konstitution möglichst autonom gestalten konnten, wurden sie mit dem ersten Lockdown zu ihrem Schutz in ihrer Selbstbestimmung und Freiheit stark eingeschränkt. Für alle Beteiligten war dieses Dilemma zwischen Schutzbestimmungen und Freiheitseinschränkungen belastend und herausfordernd.
Das Heim als sozialer Treffpunkt steht nicht mehr zur Verfügung, das Bedürfnis nach Kontakt und Besuchen kann nicht annähernd erfüllt werden. „Die ersten zehn Wochen war es ganz gut, dann ist es immer schlimmer geworden, man hat die Wochen gezählt, dass man wieder ins Freie oder raus gehen konnte zu den Angehörigen. Dann ist es schlimmer geworden, es hat geheißen, das und das geht wieder, die Schulen gehen an und wir sitzen immer noch immer drinnen…“, beschreibt eine Heimbewohnerin die Situation.
Durch die Flexibilität des Heimpersonals wurden andere Kommunikationsmöglichkeiten wie zum Beispiel skypen oder der Besuch im Heim durch die Abtrennung mit einer Plexiglasscheibe ermöglicht. Dennoch stößt man auch damit an Grenzen: es gab keine Möglichkeiten, sich zu umarmen oder eine Hand zu halten. Diese und andere emotionalen Herausforderungen führten bei den Bewohner*innen, den Angehörigen und den Pflegenden zu einem großen Leidensdruck.
Hospizkultur und Palliative Care in Coronazeiten. Wie kann das gehen?
Im Rahmen eines Pilotprojektes von Juli 2020 bis November 2020 wurden das Haus Elisabeth in Silz und das Sozialzentrum Sölden von der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft und der Tiroler Privatuniversität UMIT Tirol begleitet. Es wurde reflektiert und erarbeitet, was es in herausfordernden Zeiten und Krisen braucht, damit Hospizkultur und Palliative Care gelingen kann und gelebt wird. Im Mittelpunkt stehen die Bedürfnisse und der Leidensdruck der Bewohner*innen.
Wohlbefinden geht über die körperliche Dimension hinaus
Es zeigt sich, wie wichtig eine ganzheitliche Betreuung ist, die nicht nur die körperliche Dimension berücksichtigt. Kontakt und Zuwendung bringen Entlastung. Kreative Angebote und innovative Lösungsansätze sind gefragt. Jeglicher soziale Beistand wie Angehörigengespräche, seelsorgerische oder ehrenamtliche Unterstützung sind „Seelennahrung“ für die Bewohner*innen. „Wenn es jemanden schlecht geht, dann soll er selbst bestimmen dürfen, ob er jemanden da haben will … das Menschliche soll im Mittelpunkt stehen …“, fordert eine Pflegeperson.
Druck für Mitarbeiter*innen wird größer
Auf Mitarbeiter*innenebene zeigt sich, dass das Personal an Grenzen stößt – auf persönliche sowie strukturelle. Viele Mitarbeiter*innen fühlen sich durch die fehlenden Angehörigen in einer großen Verantwortung und unter Druck. Bei Pfleger*innen, dem Verwaltungspersonal und Personal aus den unterstützenden Bereichen zeigen sich Ängste und andere emotionale Belastungen. Die Situation macht sichtbar, dass sich Covid-19 nicht nur auf beruflicher, sondern auch auf privater Ebene auswirkt. Auf Selbstfürsorge zu achten, damit die eigene psychische und physische Gesundheit nicht leidet, wurde zum Teil als große Herausforderung erlebt. Hier können individuelle sowie Entlastungsmaßnahmen auf organisationaler Ebene unterstützend und haltgebend sein.
Austausch unter den Mitarbeiter*innen und Heimen ist wichtig
Mit diesem Projekt ist es gelungen, Mitarbeiter*innen in ihrem Gefühl zu stärken, für die Krise (weiterhin) gut gerüstet zu sein. Neue Strategien konnten entwickelt und Maßnahmen in bereits bestehenden Präventions- und Notfallplänen ergänzt werden. Der Vorsorgedialog® als Instrument der Vorausschauenden Betreuungsplanung hat sich bewährt und unterstützt alle Beteiligten in ihrem Handeln – unabhängig von den Krisensituationen. Zudem zeigt sich, wie wichtig der Austausch und die Zusammenarbeit mit Systempartner*innen sowie die Vernetzung mit anderen Heimen ist. Dadurch wird Lernen in der Krise erst möglich.
Die Projektlaufzeit dauerte von Juni 2020 bis Ende November 2020. An diese Zeit knüpfte der zweite Lockdown an. Dies stellt die Heime vor neuerliche Herausforderungen und zeigt – trotz aller Vorbereitung – auch die Grenzen auf. Der Fokus auf die Sicherheit, Freiheit und Gesundheit der Bewohner*innen braucht sehr viel Aufmerksamkeit. Ist ein Teil der Bewohner*innen und des Personals von Covid-19 betroffen, führt das schnell zu einem Ausnahmezustand. In dieser Situation ist es umso wichtiger, ein Team zu haben, das gestärkt ist und auf klare Richtlinien zurückgreift, die wegbereitend aus der Krise führen.