„Was ist mit dem, was während der Zeit des Lebens offen und unausgesprochen, ungeklärt und ungelöst geblieben ist?“ Seelsorger Christian Sint und die neue Seelsorgerin Romana Thurnes haben bei der letzten Gedenkfeier darüber ein Zwiegespräch geführt.
Christian Sint: Kürzlich fragte mich eine Frau, wie das denn so ist mit jenen Menschen, die gestorben sind und mit denen noch einiges offengeblieben ist. Sie erzählte, dass sie in der Beziehung mit ihrem Vater nicht zufrieden war. Sie hatte den Eindruck, dass sie nicht wirklich weitergekommen war. Sie hätte ihm so gerne noch mehr gesagt, hätte Fragen mit ihm klären, über alte Verletzungen reden wollen. Dazu war es aber vor seinem Sterben dann nicht mehr gekommen. Jetzt, da der Abschied schon einige Wochen hinter ihr liegt, spürt sie eine innere Unruhe und Unzufriedenheit. Sag, wie geht es dir denn da, wenn du das so mitbekommst?
Romana Thurnes: Es gibt in uns allen die Sehnsucht, dass wir vor dem Tod eines nahestehenden Menschen Unklarheiten beseitigen, Ungelöstes klären wollen. Wenn die gemeinsame Lebenszeit knapp ist und zu Ende geht, wollen wir unsere Beziehungen noch einmal klären oder gut abrunden, wollen Ordnung schaffen und Frieden in Unruhe bringen. Das ist ein hoher Anspruch, der nicht immer gelingt, dem nicht leicht und einfach nachgegangen werden kann. Da stoßen wir an Mauern und Grenzen. Das macht dann unruhig, traurig, unzufrieden und kann belasten – besonders dann, wenn mit dem Tod das Ende künftiger Möglichkeiten kommt.Wie siehst denn du das Ganze, Christian?
Christian Sint: Ich glaube, dass unsere Beziehungen im Tod nicht enden. Wir, die wir hier weiterleben, reifen weiter durch das Leben, durch neue Erfahrungen und Einsichten. Und auch unsere Verstorbenen, die im neuen Leben sind, reifen weiter im Licht. Sie befinden sich außerhalb der irdischen Enge, außerhalb von Raum und Zeit.
Wir dürfen vertrauen, dass – wie man früher sagte in der Ewigkeit – unsere Verstorbenen vieles aus ihrem Leben, auch ihre Beziehungen viel weiter und tiefen sehen. Wir dürfen vertrauen, dass sie im Licht, bei Gott nochmals reifen, heiler werden. ER vollendet, was unvollendet ist. Deshalb sage ich manchmal gerne bei einer Verabschiedungsfeier oder am Grab: „Wir verenden nicht, wir werden vollendet“ (Hans Küng).
Romana Thurnes: Kommen wir zur Frau zurück: Was ist wirklich mit dem, das während der Zeit des Lebens noch offen und unausgesprochen, ungeklärt, ungelöst geblieben ist?
Ich vertraue ja auch darauf, dass die Beziehungen im Tod und durch den Tod hindurch nicht zu Ende sind. Dass unseren Beziehungen – auch über den Tod hinaus – Veränderung, Verwandlung erfahren.
Für mich ist es immer wieder eine Frage: Traue ich, trauen wir dem Himmel Entwicklung, Verwandlung – christlich gesprochen Erlösung – zu?
Christian Sint: Für diese Verwandlung braucht es von unserer Seite:
– dass das Schwere an- und ausgesprochen wird. „Was nicht ausgesprochen wird, kann nicht erlöst werden.“ Ausgesprochen, damit meine ich etwa, dass ich mit dem Verstorbenen immer wieder innerlich „rede“, Zwiegespräch halte. Ich erinnere mich an eine Verabschiedungsfeier, wo die rührig besorgte Nachbarin dem Verstorbenen sagte: „Hin und wieder warst du ein richtiger Ungustl, gemein zu uns und deiner Frau“.
– Und ich denke, dass beim Gedenken an den Verstorbenen es gut ist, das Schwere, das Unerlöste dem Licht, Gott hinzuhalten, mit der Sehnsucht, mit der Bitte um Verwandlung.
– Und manchmal tut es auch gut, wenn man soweit ist und man es schafft, dem Verstorbenen zu verzeihen. Die oben erwähnte rührige Nachbarin sagte bei der Verabschiedung am Totenbett dann auch noch: „Friede sei mit dir. Ich nehme meinen Teil und du nimm deinen Teil und nun lass uns in Frieden ziehen“.
Romana Thurnes: Ja, als Christinnen und Christen glauben und vertrauen wir darauf, dass wir in unserem Leben nicht alles „gut abgeschlossen“ und „bewältigt“ haben müssen. Wir dürfen auch mit unseren nicht-versöhnten, unerlösten, ungeklärten und unrunden Anteilen sterben.
Wir bleiben immer im Geheimnis Gottes, in das wir letztlich hineinsterben bzw. hineingeboren werden im Tod. Dort gibt es unendlich viel Zeit und Chancen für Entwicklung, Veränderung, Verwandlung, die sicherlich bis zu uns allen hierher auf die Erde segensreich zurückwirkt.
Romana Thurnes und Christian Sint, Seelsorger
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Foto: Petra Happacher