Vergebend leben – wenn aus Wunden Perlen werden ist das Thema des 5. Impuls in der Fastenzeit im Hospizhaus Tirol.
Vergeben ist für mich persönlich seit Kindertagen ein schwieriges Thema. Wenn ich mit meiner Schwester gestritten habe, so hörte ich öfters den Satz am Abend: „Du musst ihr vergeben“. Die Betonung war auf dem „muss“. Und ich verband damit, ich muss mich aufgeben. Ich muss ihr recht geben…
Viele, viele Jahre später eröffnete mir der Jesuit P. Franz Jalic einen positiven Zugang zum Vergeben. Franz Jalic war vor über 40 Jahren fünf Monate in Argentinien von Militärchunta eingesperrt. Geschehen ist dies durch Verrat und falsche Anzeigen. Nach seiner Befreiung, viele Jahre später, sagte er sinngemäß, ich vergab, sonst wäre ich selbst draufgegangen. Der ständige Hass hätte mich kaputt gemacht.
Zwei Aussagen von ihm haben mir sehr geholfen
Jalic meint: Der größte Schmerz ist nicht die Beleidigung, sondern dass mein Leben und Lieben zum anderen hin nicht fließen kann, sich anstaut, wie hinter einer Staumauer.
Und ein zweiter Gedanken hat mir geholfen: Wie Anselm Grün sagt auch Franz Jalic: Vergebung ist ein längerer Prozess. Vergebung geschieht nicht von heute auf morgen. Vergebung ist ein langer Weg mit vielen Schritten…
- Erster Schritt: ist die Sehnsucht, Absicht jemanden zu vergeben
- Zweiter Schritt: den Schmerz der Verletzung zulassen
- Dritter Schritt: die Wut zulassen
- Vierter Schritte: ansehen und verstehen, was geschehen ist
- Fünfter Schritt: vergeben.
Im Deutschen verwenden wir die beiden Worte „verzeihen und vergeben“ fast gleichbedeutend. Verzeihen heißt Verschuldetes nicht mehr anrechnen. Vergeben hat jedoch noch eine etwas andere Bedeutung. Es meint: Verschuldetes weggeben, wegschicken.
Vergebung ist ein aktives Tun. Ich gebe etwas weg. Ich befreie mich von der Macht des anderen, der mich beleidigt hat. Und ich befreie mich von der negativen Energie, die durch die Beleidigung des anderen noch in mir ist.
Es gibt noch einen sechsten Schritt: Verletzungen, Kränkungen, Beleidigungen reißen Wunden. Vergebung ist die Wunde in eine Perle verwandeln lassen, wie Hildegard von Bingen sagt.
Perlen entstehen bekanntlich, wenn Fremdkörper wie Sandkörner, Parasiten in die Muschel geraten oder durch andere Verletzungen in das tiefere Mantelgewebe der Muschel verschleppt werden. Die Muschel versucht sich dann zu „schützen“ und umhüllt den Fremdkörper mit Calciumcarbonat: Perlmut – eine Perle entsteht
Dies lässt sich übertragen auf den Weg der Vergebung.
Die vielen Schritte der Vergebung, die ich gehe, sind gleichsam wie Perlmut. Wenn ich den Schmerz der Verletzung, die Wut zulasse, die Verletzung ansehe und versuche zu verstehen, was geschehen ist, verwandelt sich der Schmerz langsam allmählich zu einer Perle.
Christian Sint, Seelsorger
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