Wenn Abschied nicht möglich ist

„Zur Lücke, die Verstorbene hinterlassen, kommen noch der Schmerz und die Trauer um die fehlende Verabschiedung.“ Maria Streli-Wolf, Leiterin Kontaktstelle Trauer in der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft

Das Besuchsverbot in Wohn- und Pflegeheimen macht mich traurig. In England überlegte man Anfang April eine totale Isolierung von alten Menschen für vier Monate. Der Gedanke an die vielen Männer und Frauen, die Woche für Woche vergeblich auf einen Besuch warten, ist schier unerträglich. Ob so viel Einsamkeit der Preis sein kann? Ich weiß es nicht.

Nicht nur in Italien, auch bei uns wurden an Covid-19 erkrankte Menschen von zu Hause abgeholt und ihre Angehörigen wussten nicht, ob sie sich jemals wiedersehen würden. Oft war der Abschied von den Verstorbenen nicht mehr möglich – wegen der großen Ansteckungsgefahr.

Wir dürfen unsere alten Eltern, Tanten, Onkel oder Freunde nicht besuchen, egal ob im Wohn- und Pflegeheim oder zu Hause. Von Verstorbenen darf sich nur der kleinste Familienkreis verabschieden. Aber auch weiter entfernten Verwandten oder Freunden ist es ein Bedürfnis, Abschied zu nehmen. Der Grad der Verwandtschaft sagt ja nichts über die Qualität einer Beziehung aus. Und so bleiben viele Menschen abschiedslos und traurig zurück.

Der Tod ist eine sinnliche Erfahrung

Es ist eine fundamentale und sinnlich notwendige Erfahrung, eine*n Verstorbenen noch ein letztes Mal sehen und berühren zu können, um die Realität des Todes im wahrsten Sinne des Wortes bereifen zu können. Hinterbliebene, die nie die Möglichkeit hatten, den Verstorbenen zu sehen, tun sich schwer, den Tod zu realisieren. Die fahle Gesichtsfarbe, die kühle Körpertemperatur, die Bewegungslosigkeit und Steifheit der Glieder, der fehlende Atem – all diese Sinneseindrücke helfen uns Menschen, den Tod mit der Zeit auch begreifen zu können.

Viele plagen Schuldgefühle

Dieses wortwörtliche Begreifen-Können ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir um einen Menschen auch trauern können. Leider sind wir zurzeit in der Situation, dass vielen Menschen diese wichtige Erfahrung fehlt. Zur Lücke, die die oder der Verstorbene hinterlässt, kommen noch die Trauer um die fehlende Verabschiedung. Viele betroffene Menschen plagen Schuldgefühle und ein nicht enden wollendes gedankliches Kreisen im Kopf, wie es dem Verstorbenen in seinen letzten Wochen, Tagen, Stunden wohl ergangen ist. Auch dieser Schmerz, diese Verzweiflung brauchen Raum und Zeit.

Was helfen kann

In erster Linie gilt es, auch diese zusätzliche Trauer zu würdigen, sie – ganz im Sinne unserer hospizlichen Grundhaltung – mit auszuhalten und ein offenes Ohr und Herz für den Kummer der Betroffenen zu haben. Allein die Tatsache, dass ich mir meinen Schmerz von der Seele reden kann, dass mir jemand wirklich zuhört, ohne gleich mit vertröstenden Worten oder Ratschlägen zu kommen, erleben viele Trauernde als den größten Trost.

Hilfreich sein kann außerdem, den Verstorbenen auf sinnliche Weise nahezukommen, indem man den Pullover überzieht, der noch den Geruch der Mama trägt, das Taschenmesser in der Hand hält, das der Opa immer in der Hostentasche getragen hat, am Parfum oder Rasierwasser riecht, Lieblingsgegenstände bei sich trägt, eine Erinnerungsecke mit Foto, Blumen und Kerzen gestaltet … all das sind Möglichkeiten, in Verbindung mit dem Menschen zu kommen, den man verloren hat.
Wenn die Gedanken im Kopf nicht ruhig werden wollen, die Was-wäre-wenn-Fragen einem den Schlaf rauben, kann es gut tun, an die verstorbene Person einen von Hand geschriebenen Brief zu richten, in dem man sich all das Ungelöste von der Seele schreibt. „Liebe Mama, es tut mir so leid, dass ich dich nicht mehr besuchen konnte. Ich frage mich ununterbrochen, was in dir wohl vorgegangen sein muss, als ich nicht mehr zu dir kommen konnte …“

Was hätte die Mama wohl geantwortet? Es kann gut tun, in die Antwort hineinzuspüren und auch diese niederzuschreiben. Was immer man mit dem Brief später macht, ob man ihn in den Sarg legt, verbrennt oder an einem bestimmten Ort hinterlegt, er hilft beim Abschiednehmen.
Gemeinschaft suchen

Schon oft habe ich von Trauernden gehört, dass es gerade die Gemeinschaft war, die sie durch diese unfassbar schwere Zeit getragen hat. Eine Großmutter, deren Enkelkind gestorben war, meinte, dass sich die große Anteilnahme der Gemeinschaft wie ein schützender, warmer Mantel um sie gelegt und sie durch die ersten Wochen und Monate der Trauer getragen habe. Daher ist es gerade jetzt wichtig, sich trotz der auferlegten Isolation mit einer Trauergemeinschaft zu verbinden.

Zum Glück haben wir diesbezüglich dank der Technik Möglichkeiten, die uns auch so Gemeinschaft erfahren lassen. Eine zeitgleich angezündete Kerze, in virtuellen Räumen gemeinsam zu singen, zu beten und sich an die oder den Verstorbenen zu erinnern, von ihr oder ihm zu erzählen, lässt uns erleben, dass wir nicht alleine sind. Das tut gut – gerade jetzt.

Trauern ist die Lösung

Trauern ist die Lösung, nicht das Problem, sagt die Trauerbegleiterin Chris Paul und sie hat damit uneingeschränkt recht. All die Traurigkeiten, die wir zurzeit durchleiden müssen, ob große, weil ein Mensch gestorben ist, oder kleine, weil Pläne, Träume oder Möglichkeiten derzeit nicht in Erfüllung gehen, gilt es nicht zu verdrängen, sondern zu durchleben und zu durchleiden – mit all den damit verbundenen Gefühlen, den Tränen, der Wut, der Leere und der Sinnlosigkeit. Denn nur wer sich auch diese unangenehmen und schmerzhaften Gefühle erlaubt, sie annimmt und durchlebt, kann auch wieder glücklich werden.

Kontaktstelle Trauer und Trauertelefon

Mit den Angeboten für Trauernde möchte die Tiroler Hospiz-Gemeinschaft gerade jetzt Unterstützung und Hilfe anbieten. Daher wurde eine eigene Trauertelefonnummer eingerichtet. Trauernde können hier unbürokratisch und kostenlos Hilfe bekommen. Während der Coronakrise können die Trauergespräche telefonisch oder über digitale Möglichkeiten stattfinden.

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Maria Streli-Wolf, Leiterin Kontaktstelle Trauer in der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft

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